Ankerherz auf Reisen: die Whisky-Insel
Islay ist die Insel des Whiskys. Ein kleines Eiland im Atlantik, auf dem das „Wasser des Lebens“ gebrannt wird. So rauchig, wie nirgendwo sonst. Besuch auf einer magischen Insel.
Im vorigen Winter kam ein Orkan so hart über den Atlantik, dass sie fürchteten, der Ozean könne in seinem Zorn einen Teil der alten Mauern einreißen. Zum ersten Mal, seit sich die Ältesten im Dorf Port Ellen zurückerinnern können, brannten in der Destille Laphroaig, die wie eine weiße Festung am Ufer aufragt, keine Feuer. „Bis fast zur Dachkante schlugen die Brecher“, sagt Campbell, Anfang 40, der Direktor. „Manchmal ist das Wetter ziemlich wild auf unserer kleinen Insel, aber ein solcher Sturm war auch für uns neu.“
Islay: Ein Glas voller Sonne
Wenn Campbell aus seinem Bürofenster sieht, liegt hinter dem Horizont tausende Meilen weit nichts als Wasser. Der Westwind kann einen langen Anlauf nehmen, bevor er auf die Felsen von Islay trifft, es ist ein rauer, ein ungezähmter, ein wuchtiger Wind. Was vielleicht erklärt, warum man auf diesem Außenposten seit Jahrhunderten den Whisky destilliert wie nirgendwo sonst. Es muss eine Möglichkeit geben, sich von innen zu wärmen, mit einem „wee dram“, einem kleinen Glas voller Sonne, denn sonst machte das alles keinen Sinn. Der Fish&Chips-Laden im Hauptdorf Bowmore verfügt über eine bessere Auswahl an Bränden als die meisten Großstadtbars.
Islay, südlichstes Eiland der Inneren Hebriden, vier Stunden Autofahrt durch das wilde Hochland und drei Stunden schaukelnde Fährpassage von Glasgow entfernt, befindet sich draußen am Rande. Etwa 3500 Menschen und zehn Mal so viele Schafen verteilen sich auf einer Fläche, kleiner als die Stadt Hamburg, und doch ist Islay in jedem Flughafen und in jedem Schnapsladen von Los Angeles bis Tokyo vertreten. Acht der berühmtesten Whiskys, von Ardbeg bis Lagavulin, werden hier gebrannt. Was Brasilien für den Fußball bedeutet und Deutschland mal für Autos war, das ist Islay für den Single Malt: Die Besten kommen von hier.
Auf der Whisky-Insel Islay
„Whisky meint mehr als ein Getränk. Es ist ein wichtiger Teil unserer Identität“, sagt Willy McNeill, 61, den in Bowmore, dem Hauptdorf der Insel, jeder nur „Ginger“ nennt. „Ginger“, ein breitschultriger Kerl, dessen Arme wie die Seiten eines Bilderbuchs tätowiert sind, arbeitet sein vier Jahrzehnten für die Destille Bowmore, und übernimmt jede Tätigkeit vom „Stillman“ (Brenner) zum Hausmeister oder Touristenbetreuer. Gerade führt er eine Gruppe junger Japanerinnen durch die Gebäude, und jede lässt sich mit Ginger fotografieren und bittet ihn um ein Autogramm. Seit ein TV-Sender eine Dokumentation über „Bowmol“ (das einem japanischen Unternehmen gehört) brachte, gilt er dort als Star. „Nicht schlecht für einen alten Mann, aye?“, meint Ginger und grinst.
Einen leidenschaftlicheren Werber für die raue Schönheit von Islay könnte das Fremdenverkehrsamt nirgendwo finden, und wenn Ginger im harten Inseldialekt davon schwärmt, wie es ist, einen Sturm in der Bucht von Loch Indaal mit einem 17 Jahren alten Single Malt im Glas zu beobachten, oder darüber, dass er keinen Stress und überhaupt nie Termindruck spürt, dann denkt man darüber nach, das Rückfahrtticket für die Fähre zu zerknüllen und dem Torffeuer zu übergeben. „Alle zwei Wochen fahre ich hinüber aufs Festland, um mein Team, die ‚Glasgow Rangers’ spielen zu sehen, und dabei fällt mir immer wieder auf, dass wir auf Islay ganz anders leben als der Rest“, sagt Ginger.
„Zeit zählt bei uns nicht.“
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