GODAFOSS. Die Geschichte einer großen Versöhnung

Am 10. November 1944 torpediert ein deutsches U-Boot den kleinen Frachter Godafoss, kurz vor der Ankunft im Hafen von Reykjavik. 24 Menschen sterben, darunter drei Kinder. Das Ereignis gilt bis heute als eine der größten Katastrophen in der Geschichte Islands. Wir von Ankerherz haben die Geschichten der Überlebenden erzählt. Und wir haben den letzten Überlebenden des Frachters und einen U-Boot-Fahrer zusammengebracht. Die Geschichte einer Versöhnung.

Im Leben jedes Menschen, egal ob Astronaut, Frittenbudenbetreiber oder Ölmagnat, stellt sich irgendwann die Frage: Warum mache ich das eigentlich? Es gibt Berufe, in denen stellt sich die Sinnfrage gewiss häufiger, aber wir wollen hier nicht die Zeit mit den Problemen von Aktienhändlern verschwenden. In solchen Momenten erinnere ich mich an die schönen Dinge, an den wahren Grund, an den Kern dessen, warum wir Bücher verlegen. An das Gefühl, wenn der Laster auf dem Weg zur Auslieferung eine Palette vor unserem Alten Tanzsaal ablädt. An eine Lesung, wenn Zuhörer gerührt sind, an den Stolz, wenn ein Werk ausverkauft ist.

Und dann gab es einen Moment auf der Frankfurter Buchmesse, den keiner, der dabei war, jemals vergisst.

In unserem Buch „Godafoss“ geht es um den Untergang des kleinen isländischen Frachters, der im November 1944 von einem deutschen U-Boot versenkt wurde, zwei Stunden vor dem Heimathafen; tragischerweise hatte sich der isländische Kapitän entschieden, entgegen aller Anweisungen die Maschine zu stoppen und englische Schiffbrüchige zu retten, deshalb war das Schiff ins Visier des U-Boots geraten. Dem isländischen Reporter Ottar Sveinsson war es gelungen, fast alle Überlebenden der Katastrophe auf Island zu besuchen und ihre Geschichten zu notieren.

Ich hatte Horst Koske, den Funker von U-300, entdeckt und interviewt. Die Arbeit am Manuskript zog sich über Monate hin; Ottar und ich trafen uns mehrfach in Reykjavik und in Hamburg. Dank Halldór Guðmundsson und Thomas Böhm, den Initiatoren von „Sagenhaftes Island“, damals Gastland der Buchmesse, wurde ein Ereignis möglich, das keiner von uns vergessen wird. Wir brachten Sigurdur Guðmundsson, eins Matrose der „Godafoss“ (einst 18 Jahre alt), und Horst Koske, den Funker (damals 19), erstmals zusammen.

Zum ersten Mal nach fast sieben Jahrzehnten.

„I don´t hate you. I love you!“

Alle waren aufgewühlt vor dem Treffen, sehr nervös, wir überlegten, dass ein Notarzt anwesend sein musste, falls es den alten Herren zuviel würde; je näher wir im Auto Richtung Frankfurt kamen, desto mehr war zu spüren, welche Bedeutung dieser Tag hatte. Horst Koske, 86, erzählte, dass er bis vor kurzem Alpträume durchlitt, in jeder Nacht einen Sandberg hinauflief, um darin zu ertrinken.

Dann kam die große Stunde, Messehalle, isländischer Pavillon, mehrere hundert Zuhörer im Publikum, es war soweit. Islands Außenminister hielt die Eröffnungsansprache, der Schauspieler Joachim Król las bewegend und wunderbar, und dann rief der Moderator die Namen der Überlebenden. Horst Koske, der gehbehindert ist, stand unsicher auf. Sigurdur Gudmundsson eilte auf ihn zu, er rief: „I don´t hate you, I love you!“

Sie nahmen sie sich in den Arm und die Tränen liefen, Erleichterung und Rührung. Bei den alten Männern und bei allen, die diesem Moment beiwohnen durften.

Als wir abends in einem Restaurant zusammen aßen, brummte Ottars Handy ununterbrochen. Die Begegnung war Hauptmeldung in allen Nachrichtensendungen, denn der Untergang der „Godafoss“, der 24 Menschen das Leben kostete, ist bis heute ein nationales Trauma für das kleine Land; „Spiegel online“ brachte einen feinen Beitrag, Zeitungen in England und auch der „Corriere della Serra“ berichtete. Am nächstenMorgen empfing uns Islands Präsident Ólafur Ragnar Grímsson, der jedes Detail unseres Buchs bereits zu kennen schien. Das Schönste aber war, den alten Herren zuzusehen, wie sie in „Godafoss“ blätterten, wie sie ohne Groll Fotos ansahen, sich von ihrem Leben erzählten, von den Kindern und Enkeln. Als seien sie alte Freunde.

Als würden sie sich schon immer kennen.

DAS BUCH GODAFOSS GIBT ES IN JEDER GUT SORTIERTEN BUCHHANDLUNG UND HIER BEI UNS IM SHOP.

 


1 comment

Vielen Dank für den wunderschönen Bericht zum Treffen in Frankfurt. Leider konnte mein Vater ihn nicht mehr lesen - ich werde ihn allerdings für meine Mutter und Geschwister ausdrucken. Es wird sicherlich ein sehr emotionaler Moment ... Gerd Koske
Gerd Koske on Okt 05 2012