Ein Jahr Flüchtlingskrise: eine Feier für die Gutmenschen

Ich war mit Kumpeln nach Wales gefahren und wir schauten Rugby in einem Pub von Cardiff, es war eng, der Boden klebte vom Bier und neben uns trank eine Gruppe Südafrikaner, im September vor einem Jahr.

„Wo kommt ihr her?“, fragten sie.

„Deutschland“.

Ein Moment des Schweigens.

„Fand ich immer unsympathisch und merkwürdig („strange“, sagten sie, um genau zu sein). Aber was ihr mit den Flüchtlingen macht“, sagt einer, die anderen hoben Daumen hoch, „pretty cool.“ Die nächste Runde Bier ging auf Südafrika.

Ein ziemlich neues Gefühl: Stolz sein auf sein Land, aus vollem Herzen. Heute, am Tag genau ein Jahr, nachdem die erste Welle von Flüchtlingen in München ankam, ist das noch immer so. Was hunderttausende Ehrenamtler und Freiwillige in den vergangenen Monaten leisteten, ist unglaublich. Jeder zehnte Bundesbürger, sagt eine Studie, hat sich für Flüchtlinge engangiert. Menschen sammeln Kleider, kochen Essen, bringen die neue Sprache bei, helfen bei Behördengängen, lesen mit Kindern.

Sie packen an, wo die Behörden es nicht mehr schaffen. Sie zeigen Courage und Nächstenliebe und das Herz eines „christlichen Abendlandes“, was sich andere Montags nur als Parole auf Transparente schreiben.

Gutmensch ist wieder ein Schimpfwort. Warum?

Was ich nicht begreife: Bei allen Problemen, die existieren und noch lange nicht gelöst sind, beginnt nun die Debatte über die Frage, ob es richtig war, die Flüchtlinge in einer Notsituation ins Land zu lassen, von Neuem. Klar, es ist Wahlkampf, aber was richtet das an? Was soll es ändern? Ändert es etwas? Nein. Wieso konzentrieren wir uns nicht darauf, was schon erreicht wurde, um die vermutlich noch eine Million Aufgaben, die zu meistern sind, anzupacken?

Ein Jahr danach werden Begriffe wie „Gutmensch“, „Bahnhofsklatscher“ und „Teddybärwerfer“ verächtlicher ausgesprochen als jemals zuvor. Wieso ist das so? Wieso können einige Leute, die Empathie für ein Tellergericht beim Griechen halten, nicht wenigstens die Fresse halten, aus einem Mindestmaß an Respekt und Restkrümeln Anstand?

Die Silvesternacht von Köln und Hamburg macht niemand ungeschehen, was aktuell abends am Jungfernstieg los ist, ohne Zweifel inakzeptabel, und die Terroranschläge von Ansbach und Würzburg waren furchtbar. Darüber kann nicht disktutiert werden.

Stolz? Nein, ein gespaltenes Land

Die gewaltige Mehrheit der Flüchtlinge aber verhält sich wie gute Gäste, Statistiken von BKA, Landeskriminalämter und Polizei belegen dies. Anders als in manchen Schreckensszenarien beschrieben brennen keine Kirchen, wurde nicht die Scharia ausgerufen und insgesamt droht die Gefahr eher von Typen wie Björn Höcke, dem miesesten Imitator von Joseph Goebbels seit 1945. Nicht die Flüchtlinge spalten die Gesellschaft, sondern die Hetze dieser Leute .

Und es sind nicht nur die rechtsdrehenden Zeitreisenden der AfD, die tatsächlich glauben, mit Konzepten, die schon 1986 lächerlich waren und mit dem völkischen Einschlag frappierend an 1933 erinnern, irgendeine Aufgabe im Jetzt und im Morgen lösen zu können, die der Diskussion ein seltsames Aroma geben. Politiker quer durch alle Parteien, etwa Gabriel, der Wirbellose der SPD oder Palmer, der Verirrte von den Grünen, beteiligen sich daran. Magazine drucken Cover in düsteren Farben, aus denen eine Merkel mit herunterhängenden Mundwinkeln und Augenringen starrt. Die Stimmung: längst nicht mehr stolz. Zaudernd. Selbstzerfleischend. Und damit nicht geeignet, die Aufgaben anzugehen.

„Wir schaffen das“, für den Satz wird Kanzlerin Merkel kritisiert. Was hätte sie sagen sollen. „Wir schaffen das vielleicht, also, eventuell, naja.“ Oder „Okay, wir legen uns lieber wieder hin“?

Wir können ein Jahr danach ziemlich stolz sein: Auf die vielen Gutmenschen im Land.

 

STEFAN KRUECKEN, JAHRGANG 1975, ARBEITETE ALS POLIZEIREPORTER FÜR DIE CHICAGO TRIBUNE UND BERICHTETE ALS REPORTER WELTWEIT FÜR MAGAZINE WIE MAX, STERN ODER GQ. ER LEITET MIT SEINER FRAU JULIA DEN VON IHNEN GEGRÜNDETEN ANKERHERZ VERLAG.

 

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