KAPITÄN SCHWANDT: Das Alter ist ein Arschloch
Ich bin nie ein melancholischer Mensch gewesen. Ich habe es gelernt, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind und vermeide es, zu klagen und zu hadern. Meine Frau Gerlinde arbeitete als Schwester im Krankenhaus. Die Schicksale, mit denen sie zu tun hatte, Krebserkrankungen, Unfälle, gingen uns oft nahe. Doch als wir mit der MS Hamburg in Edinburgh ausliefen, letzte Station der Reise um die Britischen Inseln, fühlte ich Melancholie. Mein Alter macht mir zu schaffen, in jeder Hinsicht.
Das Alter ist ein Arschloch.
In den 1950er-Jahren war ich zum ersten Mal in Schottlands Hauptstadt. In einer Silvesternacht nahm ich eine junge Dame mit an Bord, die das Schiff (und speziell meine Koje) inspizieren wollte. Das Hafengelände wurde streng bewacht. Sie zeigte den Polizisten ihren Ausweis, erhielt einen Passierschein und wurde im Wachbuch registriert. Wir hatten es uns gerade gemütlich gemacht, als es an meine Kabinentür hämmerte.
„Los, raus! Die Wache will euch sprechen!“
Was war denn nun los? An der Gangway erwartete uns ein Polizist, zeigte auf die Uhr und forderte die junge Frau auf, ihn ans Hafentor zu begleiten. Zehn Uhr, Sperrstunde. Das galt im Pub – aber für Mädchen an der Pier? Es war damals eine romantische, eine wilde, eine absurde, es war eine unvergessliche Zeit. Würde ich rückblickend etwas anders machen? Auf keinen Fall.
Als wir in Edinburgh ablegten, stand ich oben an Deck, sah die Brücken des Firth of Forth am Horizont kleiner werden und rauchte. Ich wurde wehmütig beim Gedanken an die alten Zeiten, zumal es mir auf dieser Reise körperlich nicht gut ging. Vor einigen Jahren haben mir die Ärzte die Bauchspeicheldrüse entfernt, was, wie sich später herausstellte, gar nicht nötig gewesen wäre. Vor jeder Mahlzeit muss ich seither meinen Blutzuckerspiegel messen und Insulin spritzen. Damit die Nahrung verdaut wird, nehme ich mehr Tabletten als manche Kinder Bonbons. Eine Herz-OP und zwei operierte Bandscheibenvorfälle tun ihr übriges.
Auf der Reise rund um Großbritannien kam nun ein weiteres, organisches Problem hinzu. Ich fand nur wenig Schlaf, selbst in der beruhigenden Dünung des Nordatlantiks nicht. Ich fühle mich auch insgesamt so müde. Jeder Morgen ist momentan ein kleiner Kampf für mich, es ist ein Gefühl, als hingen große Gewichte an mir. Ich musste die Kreuzfahrt in Hamburg abbrechen und darf nun statt im nächsten Hafen bei diversen Ärzten einlaufen. Seediensttauglich bin ich derzeit nicht.
Vielleicht ist es für mich an der Zeit, für eine Weile von Bord zu gehen.
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