Kapitän Schwandt im Gefängnis Santa Fu

 

Die schwere Stahltür der Sicherheitsschleuse schließt mit einem metallischen Schmatzen, dann sind wir drin. Justizvollzuganstalt Hamburg-Fuhlsbüttel, genannt „Santa Fu“, gilt als Deutschlands bekanntestes Gefängnis. Hinter den hohen, roten Backsteinmauern, auf denen Nato-Stacheldraht gespannt ist, sitzen Schwerverbrecher. Straftäter, die zu langen Haftstrafen verurteilt worden sind: Mörder, Drogenhändler, Entführer. Im Gefängnis gilt die höchste Sicherheitsstufe. Wer hinein will, schließt sein Handy, den Schlüsselbund und die Brieftasche in ein Fach ein und wird durchleutet, wie im Flughafen.

Wir sind hier, um aus dem Leben eines Seemanns zu erzählen.

Kapitän Schwandt, Jahrgang 1936, trägt eine dunkle Anzugjacke, weißes Hemd und Krawatte, er sieht wirklich aus ein Kapitän, eine Autoritätsperson. Anhand der Kleidung kann man ablesen, wie er eine Veranstaltung einschätzt. In der Haifisch Bar erscheint er meist im Rollkragenpullover. Für die Insassen von „Santa Fu“ hat er sich fein gemacht. Seit wir vor zwei Jahren mit der Kolumne in der „Hamburger Morgenpost“ begannen, war es sein Wunsch hier zu lesen. Schwandt mag den Sänger Johnny Cash und dessen legendäres Konzert im Folsom State Prison. Was ihn mit dem Country-Sänger verbindet, ist das Engagement für „kleine Leute“, für Menschen, die von der Gesellschaft ausgestoßen wurden.

Wir gehen über einen Innenhof, passieren eine weitere Sicherheitsschleuse, nehmen eine Treppe und kommen in einen Kirchenraum. Einige Stühle stehen bereit. Wie viele Häftlinge zur Lesung kommen? 280 Insassen hat der Knast, bei weitem nicht alle sprechen Deutsch, und das Wort „Lesung“ hat, so erzählt Carla Oehlert vom Verein „Kultur im Knast“, keine besonders attraktive Bedeutung.

Um kurz vor 16 Uhr geht die Tür auf, die ersten Zuhörer kommen. Ein breitschultiger Kerl mit Schnauzbart und Glatze, er trägt ein Bayern-Trikot. Ein junger Kerl in Jogginghose, direkter Blick, einige Südeuropäer, zehn Häftlinge sind es insgesamt. Erster Eindruck: Keine Tättowierungen, keine bösen Blicke. „Wer kennt die Kolumne aus der MOPO?“, frage ich in die Runde. Eine Hand geht hoch. Internet gibt es im Knast natürlich nicht, und von der Facebook-Seite des Käptens, die vergangene Woche 3.5 Millionen Menschen sahen, hat hier noch niemand etwas gelesen.

Ich erkläre, warum wir hier sind: Dass es dem Kapitän um Respekt geht. Dann lese ich die erste Story, über einen Notfall auf See, als Schwandt einem Matrosen das Leben rettete. Wir haben die Geschichten so ausgesucht, dass wir hoffen, Themen aufzugreifen, die hinter Gittern interessieren: Tattos, Fernsehen, Abenteuer auf den Meeren. Frauen und politische Themen haben wir ausgeklammert.

„Ihr seid gar nicht tättowiert“, fragt Schwandt. „Warum nicht?“

„Geht im Knast nicht“, antwortet einer der Männer, „verboten.“ Warum sie hier sind, dürfen wir nicht fragen. Sie haben andere überfallen, geschossen, erpresst oder mit Drogen gehandelt. Früher war „Santa Fu“ berüchtigt, wegen Meutereien, versuchten Ausbrüchen, wegen Szenen, die man aus amerikanischen Filmen kennt. Alles lange her. Der Knast-Alltag, erzählt einer der Aufseher, läuft friedlich und geordnet ab. Es gibt sogar ein eigenes Krankenhaus. Santa Fu funktioniert wie ein autonomes Dorf in der Stadt.

Applaus der „schweren Jungs“.

Zwischen den Geschichten plaudern wir mit den Insassen, fragen sie nach ihrem Leben. Sie erzählen von der Fußballmannschaft, die am regulären Liga-Betrieb in der Kreisklasse teilnimmt und letzte Saison mit riesigem Vorsprung die Meisterschaft gewonnen hat. Ein bisschen Stolz schwingt mit. „Kein Wunder – alles Heimspiele“, brummt ein Mann. Wieder lachen alle. Je länger die Lesung dauert, desto entspannter werden die Häftlinge. Anfangs konnte man spüren, dass sich keiner äußern wollte, um sich keine Blöße vor den anderen zu geben. Am Ende der Veranstaltung ist die Atmosphäre so offen, wie sie in einem Gefängnis sein kann.

Als wir uns nach einer Stunde verabschieden, bedanken sich die „schweren Jungs“ mit Applaus, und erkundigen sich, ob wir von Ankerherz die Biographie „Sturmwarnung“ schicken können, die der Kapitän erwähnt hat. Ist versprochen.

 

Sturmwarnung, die Biographie von Kapitän Schwandt, ist überall im Buchhandel und hier  bestellbar.

 

 

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Man in Black 2.0. Stark, Herr Kapitän
Herbert Strasser on Mrz 19 2016