Seenotrettung im Mittelmeer: Wie ist die rechtliche Einordnung?

Nach der Festnahme der deutschen Kapitänin Carola Rackete durch italienische Behörden ist in den Sozialen Netzwerken erneut eine emotionsgeladene Diskussion entbrannt. Ein Post auf der Seite von Ankerherz erreichte innerhalb von 24 Stunden eine Million User. In vielen Kommentaren wurde die Kapitänin beschuldigt und massivst angegriffen. Andere stellten sachliche Fragen.

Wir wollen versuchen, in diesem Beitrag die rechtliche Lage zur Seenotrettung im Mittelmeer neutral darzustellen. Und einige Vorwürfe zu klären. Die vorliegenden Antworten stammen aus Gesetzestexten, juristischen Bewertungen wie dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages und der nachrichtlichen Faktenlage. Die Quellen sind entsprechend verlinkt.

Vorwurf: Private NGOs wie Sea Watch fungieren wie „Shuttlebusse“, die Flüchtlinge direkt vor der Küste aufnehmen.

Antwort: Falsch. Die westlybische Regierung hat eine 74 Seemeilen breite „Such- und Rettungsregion“ erklärt, die weit in internationale Gewässer hineinragt. Eine libysche Küstenwache greift in dieser Zone Flüchtlinge auf und bringt sie zurück an Land, finanziell unterstützt von Italien und der EU. Aus Furcht vor Angriffen auf ihre Schiffe operieren nur noch wenige NGO in dieser Zone.

Frage: Muss ein Kapitän in einem Seenotfall helfen?

Antwort: Ja, jeder Kapitän ist zur Seenotrettung verpflichtet. Er muss unverzüglich Hilfe leisten, sonst macht er sich strafbar, wobei das Strafmaß für unterlassene Hilfeleistung bis zu zehn Jahre Haft betrafen kann. Dies wurde in drei internationalen Abkommen manifestiert: Im Internationalen Abkommen über die Seenotrettung, dem Internationalen Abkommen zum Schutz menschlichen Lebens auf See und der Seerechtskonvention der Vereinten Nationen.

Vorwurf: Die Kapitänin sollte die Flüchtlinge zurück nach Libyen bringen. Weil sie es nicht tat, ist sie eine „Schlepperin“.

Antwort: Falsch. Nach dem Seevölkerrecht sind die Geretteten NICHT in den nächsten Hafen zu bringen, sondern „innerhalb einer angemessenen Zeit an einen sicheren Ort“. Dies ist per Definition ein Ort, „an dem das Leben der Überlebenden nicht mehr weiter in Gefahr ist und an dem ihre menschlichen Grundbedürfnisse gedeckt werden“.

In Libyen gibt es nach offizieller Einschätzung der Vereinten Nationen unzumutbare Zustände in Lagern, mit Vergewaltigungen, Folter, Misshandlungen und Hunger. Sogar Berichte von Sklavenmärkten sorgten für internationale Empörung. Nach Libyen darf rechtlich niemand zurückgebracht werden.

Was die libysche „Küstenwache“ nicht interessiert, da dieser „Failed State“ die Genfer Flüchtlingskonvention nie unterzeichnete.

Europäische Schiffe (die Sea Watch fährt unter der Flagge der Niederlande) sind an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden. Sie sind rechtlich verpflichtet, Flüchtlinge an einen sicheren Ort zu bringen. Im vorliegenden Fall lehnten es Tunesien und Malta ab, das Schiff mit den Geretteten einlaufen zu lassen.

Vorwurf: Die Kapitänin hat italienisches Recht verletzt. Sie ist selbst Schuld, dass sie nun eine Haftstrafe erwartet.

Antwort: Die Frage ist eher, ob die Haltung der italienischen Regierung gesetzeskonform ist. Darf sie einem Schiff in Not die Einfahrt untersagen? Wie die Regierung Salvini handelt, ist nach Ansicht vieler Juristen unvereinbar mit europäischem Recht und u.a. der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Kapitänin handelte in einer klaren Notlage, als sie in Lampedusa einlief. Der Fall erinnert an den Prozess gegen Kapitän Stefan Schmidt, der vor mehr als zehn Jahren mit Flüchtlingen an Bord in einen italienischen Hafen einlief. Der Prozess wegen „Menschenhandels“ endete mit einem Freispruch.

Vorwurf: Die Kapitänin hätte einen anderen Hafen anlaufen können, sie war ohnehin zwei Wochen auf See. Warum fuhr sie nicht nach Deutschland?

Antwort: Sie wartete auf die Erlaubnis, mit 40 Geretteten einlaufen zu dürfen. Deutschland z.B. ist viel zu weit für ein kleines Schiff. An Bord ereigneten sich dramatische Szenen, das Wasser wurde knapp, und die Kapitänin fürchtete Selbstmorde.

„Die Situation war hoffnungslos. Und mein Ziel war es lediglich, erschöpfte und verzweifelte Menschen an Land zu bringen. Ich hatte Angst.“ Sie habe befürchtet, die Migranten könnten sich durch einen Sprung ins Wasser umbringen, da sie nicht schwimmen könnten. (Quelle: Tagesschau.de)

Dass sie mit einem Polizeiboot zustammen stieß, kommentierte sie so: „Sie habe das Polizeiboot sicher nicht berühren wollen, sagte sie dem Bericht zufolge. Sie habe die Situation falsch eingeschätzt, als sie sich dem Dock näherte. „Ich hatte nicht die Absicht, irgendjemanden in Gefahr zu bringen, ich habe mich bereits entschuldigt und bitte erneut um Entschuldigung.“ (Quelle: Tagesspiegel)

Vorwurf: Durch die Arbeit der NGO werden Flüchtlinge ermutigt, die gefährliche Überfahrt zu wagen. Dadurch gibt es noch mehr Tote. Die Seenotretter sind also direkt für den Tod verantwortlich.

Antwort: Falsch. Mehrere wissenschaftlicher Studien (siehe auch: „Death by rescue„) belegen, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Präsenz ziviler Seenotretter und der Zahl der Flüchtenden gibt. Eine aktuelle Untersuchung von Elias Steinhilper and Rob Gruijters, die Migrationszahlen auf der zentralen Mittelmeerroute zu Zeiten mit größerer Präsenz von Seenotrettungsschiffen und dann Zeiten mit weniger Präsenz vergleicht, kommt zum Schluss: Die Zahl der Toten verringert sich. Einen Effekt auf die Zahl der Migranten hat es nicht.

Noch einfacher ausgedrückt kann man sagen, dass die Retter kamen, weil die Menschen ertranken. Denn Menschen fliehen aus Gründen, auf welche die Anzahl der Rettungsschiffe keinen Einfluss hat: Krieg, Hunger, Verfolgung. Weniger Rettungsschiffe führen nicht zu weniger Flüchtenden, sondern zu mehr Toten auf der Flucht. 2018 starben nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks UNHCR durchschnittlich sechs Menschen täglich beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren.

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