Stefans Geschichten vom Meer: Weihnachten der letzten Hoffnung
Weihnachten der letzten Hoffnung. Jede Woche schreibt Ankerherz Verlagsleiter Stefan Kruecken eine Geschichte vom Meer, die als Kolumne in der Hamburger Morgenpost erscheint. Diesmal geht es um eine traurige Weihnachtsgeschichte – den Kampf einiger Freunde, vermisste Seeleute doch noch zu finden.
Weihnachten bedeutet für Seeleute die traurigste Zeit des Jahres. Wenn alle anderen daheim neben dem Baum sitzen, verbringen die Männer und Frauen die Festtage draußen auf See oder in irgendeinem fernen Hafen. Stille Nacht? Ich weiß, dass diese Zeit selbst den hartgesottensten Kerlen nahe geht. Sie vermissen ihre Partner und ihre Kinder, und das gemeinsame Festessen in der Crewmesse, für das der Schiffskoch alles gibt, wird die Laune kaum bessern. An Weihnachten fehlt den Seeleuten ihr Zuhause noch mehr als sonst.
Vielen tausend Matrosen, Offizieren, Kapitänen, Maschinisten, Fischern, Marinesoldaten, Offshore-Arbeitern, Crewmitgliedern auf Kreuzfahrtschiffen oder Seenotrettern geht das so. WhatsApp, Facetime und Soziale Medien können daran wenig ändern. Heute mögen die technischen Möglichkeiten besser sein, in der Praxis aber ist das Internet an Bord teuer. Es ersetzt auch nicht den persönlichen Kontakt.
Für einige Familien ist das Weihnachtsfest in diesem Jahr besonders schmerzhaft.
26. September, Atlantik: Offshore-Schlepperversorger „Bourbon Rhode“ gerät in den Hurrikan Lorenzo. Das nur 50 Meter lange Schiff einer französischen Reederei befindet sich auf dem Weg von Las Palmas nach Georgetown in Guyana, als es in den Wirbelsturm hinein fährt. Noch nie zuvor ist ein Sturm dieser Größe und Wucht so weit östlich beobachtet worden. Auf den Azoren richtet der Hurrikan schwere Schäden an.
Hurrikan der Kategorie 5
Zeitweilig werden Windgeschwindigkeiten von 295 Stundenkilometern gemessen, was Lorenzo sogar zu einem Hurrikan der höchsten Kategorie 5 macht. Die Bedingungen auf See sind infernalisch. In Agenturmeldungen ist von mehr als zwanzig Meter hohen Wellen die Rede.
Warum das kleine Schiff in dieses Monster eines Orkans gerät? Das ist ein Rätsel, denn die Zugrichtung des Hurrikans war bekannt und alle Wetterstationen hatten Warnungen ausgegeben. Am Morgen des 26. September sendet die „Bourbon Rhode“ ein „Mayday“. Letzte bekannte Position: 15˚ 35’N, 040˚ 10’ W, etwa 970 Seemeilen westlich der Kapverden.
Trotz des extremen Wetters startet eine große Suchaktion, an der sich Handelsschiffe, die französische Marine und die amerikanische Küstenwache beteiligen. Drei Seeleute werden schließlich von der Crew eines Hubschraubers auf einer Rettungsinsel entdeckt. Sie überleben den Untergang. Vier Leichname können die Einsatzkräfte bergen. Sieben Besatzungsmitgliedern der „Bourbon Rhode“, Seeleute aus Kroatien, der Ukraine und von den Philippinen, werden vermisst.
Die Freunde geben nicht auf
Noch Tage nach dem Unglück fahren Schiffe Suchkurse in diesem großen Seegebiet. Flugzeuge sind in der Luft. Die Abteilung Cross AG der Préfet de la Martinique, die den der Such- und Rettungsaktion leitet, bricht den Einsatz schließlich ab. Es gibe nur noch wenig Hoffnung, die Männer zu finden, heißt es von den Behörden. Die Suche wird nur noch „passiv“ fortgesetzt, was bedeutet, dass regelmäßig Nachrichten an Schiffe in der Wrackzone ausgesendet werden, mit der Bitte an die Crews, die Augen offen zu halten.
„Die vermissten Seeleute leben noch. Wir sind sicher“, sagt hingegen Sebastian Latocha. Er ist der beste Freund von Miskic Dino, dem jungen kroatischen Kapitän der „Bourbon Rhode“. Eine Theorie, an die sich die Freunde und ihre Familie klammern: Die Seeleute haben es vor dem Untergang in jene drei großen Rettungsinseln geschafft, die seit dem Untergang verschwunden sind. Darauf treiben sie irgendwo in der Weite des Atlantiks.
Die Liferafts sind mit Wasser und Nahrungsvorräte für mindestens drei Monate ausgerüstet. Weil das Wasser warm ist, ziemlich konstant 25 Grad, und es möglich ist, Regenwasser zu sammeln und Fische zu fangen, könnten die Seeleute eine Chance haben. So zumindest die Hoffnung.
Weihnachten der Hoffnung
Im Facebook haben die Freunde eine Gruppe gegründet, die schon mehr als 45.000 Mitglieder zählt. Seeleute halfen, Suchdiagramme zu erstellen, die Winddrift und Strömung der Rettungsinseln einrechnen. Ein Flugblatt soll auf das Schicksal der Seeleute aufmerksam machen. Irgendwann, so hoffen die Freunde, werden die Liferafts auf einer Insel angespült oder von einer Schiffsbesatzung gesichtet. Auf den Bahamas sendet eine Radiostation Aufrufe, wachsam zu sein. Damit rasch Hilfe zur Stelle ist, sollten die erschöpften Seeleute angespült werden.
„Miskic ist ein harter Kerl“, sagte mir Sebastian am Telefon. „Wenn das einer schafft, dann er.“ Er will nicht aufgeben.
Wünschen wir allen Seeleuten, die in diesen Tagen draußen auf See sind, das Beste für die Weihnachtstage. Fair winds, sailors.

0 comments