UNSER KLEINER VERLAG: Dorfliebe

Dorfliebe. Heute Morgen, als ich wegen der Wildschweine an der Kasse stand, dachte ich darüber nach, ob wir vielleicht doch unter einem Standortnachteil leiden. Nach diesem „Standortnachteil“ werde ich immer mal gefragt, vor allem von Leuten, die in einer Großstadt leben.

Ob es nicht ein „Standortnachteil“ sei, auf dem Dorf zu wohnen, in diesem Hollendingens, ach ja: Hollenstedt (das Wort sprechen sie dann immer aus wie etwas, das seltsam riecht.) Heute Morgen also, als ich an der Kasse im Baumarkt wartete, um eine Rolle Maschendraht zu kaufen, ein Schachtel Nägel und einen großen Hammer, hatten sie Recht.

Es ist ein Standortnachteil, wenn Wildschweine im Garten unterwegs sind und ihnen der Zaun im Weg ist.

 

Ansonsten empfinde ich es als Standortvorteil, in diesem Hollendingens zu wohnen. Meine Frau und ich, wir leiten nicht nur den Ankerherz Verlag, sondern haben auch vier Kinder und einen renitenten Mops-Beagle-Mischling namens Jupp. Ich will jetzt gar nicht mit all den Argumenten Pro-Landleben anfangen, die man erwartet: Natur, Dorfschule, glückliche Kinder, zufriedener Hund etc. etc.

Dorfliebe – Plädoyer für das Leben auf dem Land

Ich glaube, dass das Leben in Phasen verläuft. Momentan heißt die Phase: Dorf. Vielleicht heißt sie eines Tages: San Francisco, aber momentan ist es so. Meine Frau Julia stammt aus Frankfurt/Main, ich selber aus Köln, wir haben uns in Hamburg kennengelernt. Wir sind Stadtkinder, zogen wegen des ersten Sohnes  dann aus der Großstadt nach Lüneburg, weil wir kein geeignetes zu Hause fanden.

Die Familie wuchs und unser kleiner Verlag tat es auch. Der Zufall brachte uns nach Hollenstedt. Ein großes Haus im Wald – und wir fanden den Alten Tanzsaal, der vom ersten Moment eine gute Aura verbreitete. Hier wurde früher geschwoft, getrunken, gefeiert. Man merkt diese Geschichte.

Und trotzdem: Zuerst hatten wir ein wenig Sorge: Wir op´m Dörp? Konnte das gutgehen? Würde man uns mit vorgehaltenem Holzgewehr in den Schützenverein zwingen? Nicht dergleichen geschah. Die meisten Leute im Dorf sind echte Niedersachsen: zurückhaltend, wortkarg, aber freundlich. „Hollywood in Hollenstedt“ heißt unsere Veranstaltungsreihe im Alten Tanzsaal, immer für einen guten Zweck.

Axel Prahl war schon da, Uwe Friedrichsen – und einmal kam Cameron Glendenning, der Chefkameramann von „Deadliest Catch“ aus Los Angeles. Cameron verliebte sich ins Dorf, übernachtete im Hollenstedter Hof, ging viel im Wald und entlang der Este spazieren, aß jeden Tag Haxe und als er abreiste, benannte man in der Speisekarte des Restaurants spaßeshalber das Schweinsbein nach ihm. Ich mailte ihm das Foto, und er schrieb zurück:

„Im Ernst: Das bedeutet mir mehr als der Emmy!“

Nach Hamburg und Bremen ist es von Hollenstedt nicht weit, zu Flughäfen auch nicht, und ich liebe es, nach einer Reise aus New York oder London nach Holli zurückzukehren. Die Bäume, der Geruch, der großartige Weg in den Verlag, durch den Wald und entlang des Flüsschens Este. Oft erscheinen mir die Felder wie das Meer. Wenn der Weizen im Wind wogt, wenn der Raps gelb leuchtet, wenn der Abendhimmel glüht. Wir bekommen häufig Besuch und einige Mitarbeiter, die in Hamburg wohnen, fahren Dienstwagen.  Alles kein Problem. Der Standortnachteil „Hollenstedt“ ist inzwischen ein Vorteil.

Wir haben gelernt: Wer zu uns aufs Dorf rauskommt, der meint es ernst. Und wer von einem Standortnachteil redet, ist meistens ganz schnell wieder weg.

Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag.

 

 

11 comments

Ich komme auch vom Dorf und kann auch nur sagen das mir das sehr gut gefällt. Auch wenn ich in Zukunft vorhabe nahe bei einer größeren Stadt wie Münster, Hamburg oder auch Köln zu wohnen, möchte ich dann lieber in einem Vorort wohnen, da mir die Ruhe da wesentlich mehr zusagt.
Susanne on Apr 07 2014
Hallo Ihr Lieben, ich habe wirklich lange gebraucht bis ich verstanden habe was der Verlag Ankerherz und Hollenstedt zusammen hat. Wir fahren seit fas 1 1/2 Jahren mehrmals wöchentlich durch Hollenstedt um in den nächsten Ort zu unserer Ruheoase und Fischen :-) zu kommen. Wir kommen aus Hamburg (ich gebürtige Pfälzerin). Mein Lieblingsladen in Hollenstedt ist Raiffeisen :-) ich konnte meine bessere Hälfte dazu überreden dort unsere Gummistiefel zu kaufen - richtige Feldgummistiefel. Ich liebe es ganz früh morgens die Goldbeck entlang zu laufen, bei uns die Fische springen zu sehen und den Rehen Guten Morgen zu sagen - und jetzt weiß ich auch endlich wo Euer Verlag ist. Ich freue mich sooooo sehr Euren Verlag und Eure Bücher zu kennen :-) und natürlich auch Hollenstedt :-) Liebe Grüße aus Hamburg Eure Ester
Ester Peter on Apr 06 2014
Hallo ihr Lieben! Diese Dorfliebe kenne ich. Im Wesrmünsterland, direkt an der niederländischen Grenze hat mich vor nun über zwanzig Jahren die Liebe entführt. Es gab sehr entbehrungsreiche Jahre auf dem kleinen Kotten weit draußen im Feld. Aber ich habe keinen einzigen Tag bereut.Unsere drei Kinder werden gerade flügge, aber weil es so schön war Kinder in dieser Umgebung aufwachsen zu sehen, schenken wir kleinen Kindern vorübergehend ein Zuhause, wenn das Leben es nicht gut mit ihnenmeint. Ich glaube es gibt so etwas wie magische Orte, die einem Kraft schenken. Für euch ist es "Holli", großartig eure Bücher(!), für uns ist es Zwillbrock, hier kann eine Kinderseele Kraft tanken. . .
Sandra Lentfort on Jan 12 2014
"Die meisten Leute im Dorf sind echte Niedersachsen: zurückhaltend, wortkarg, aber freundlich." Genauso sind sie, die Niedersachsen. Und genau deswegen werde ich irgendwann, sobald es die Umstände ergeben, wieder aus Ddorf in "meine" alte Heimat zurückkehren. Danke für eure schlichten, aufrichtigen Worte, in denen man sich immer wiederfinden kann und für eure tolle Arbeit in und mit dem Verlag, bei der man immer eure Hingabe spürt. Ist selten genug geworden!
Oliver on Dez 12 2013
…wie schön! Genießt einen wunderbaren Herbst! Sonnige Grüße, Mo
Moritz Vahrmeyer on Okt 31 2013
Ja, genauso geht es uns (mir,Mann,Hund) auf dem Land. Mit kleiner und etwas größerer Stadt in der Nähe. Wir genießen es! Als ich das letzte Mal in San Francisco war, bin ich 5 Tage früher abgereist, weil ich so Heimweh nach unserer Provinz hatte. Und das, nachdem ich früher lange in Beautiful California gelebt hatte und nieeee dort weg wollte. Such is the power of country life in northern Germany! Und jetzt stöbere ich noch auf Eurer Website. Hollywood in Hollenstedt würde mir sicher auch gefallen, ist mir aber für abends zu weit weg ...
Elisabeth Mardorf on Sep 23 2013
musste beim Lesen dann noch an "Land spielen" von Daniel Mezger denken: http://www.salisverlag.com/content/daniel-mezger-land-spielen Klingt doch aber insgesamt sehr gemütlich bei euch.
Onno on Jul 03 2013
Danke für diese Liebeserklärung an Holli - Wir selbst sind ja auch mehr oder weniger "Neu-Hollenstedter", nein "Neu-Appeler" - und haben es noch keinen einzigen Tag bereut, aus der Großstadt heraus in diese Idylle gezogen zu sein. Ein Gang um die Seen, ein Waldspaziergang - es ist so wunderschön. Und ich fahre jeden Tag nach Hamburg rein, mit Öffis - geht alles, wenn man will. Und es ist es einfach wert. Und wir warten schon sehnsüchtig auf das nächste "Hollywood in Hollenstedt". Wir sind dabei! Macht weiter so! Liebe Grüße Sabine Klanten
Sabine Klanten on Jun 11 2013
lieber stefan, wegen technischen schwierigkeiten ist mein voriger kommentar futsch. schade. es ging darum, wie es mir gut tat, zu lesen was du schreibst in der folge 9, vom dorfleben. es ist echt? d.h. es ist möglich, als städter ein dorfleben zu führen... meinst du das ginge auch mit nur einem kind (7) und ohne partner? wie seid ihr zu dem flecken gekommen.?das ist meine geheimste frage seit langem, wie finde ich den richtigen ort? aus der stadt weg möchte ich auch, es hat mit der lebensphase zu tun, wie du sagst. ich würde es schon meinem töchterchen wünschen, aus diesem pfuhl herauszukommen, eine einigemassen normale kindheit, vor allem ruhig, entschleunigt. in der stadt -oder in einer wie dieser (leipzig) geht das kaum. es sei denn man hat viel geld und kauft sich ruhe...aber das kennt ihr ja beide. ich komme auch aus frankfurt, bin in leipzig hängen geblieben, durfte spät noch mutter werden. kind +stadtleben, das geht, wenn es einen sugardaddy gibt, aber den haben wir nicht. so gestalte ich unser leben indem ich versuche zu reduzieren wo es nur geht. es ist so massiv zuviel von allem, vor allem information, dass es lähmt. für die kinder ist es womöglich anders, aber je weiter sie wachsen, desto mehr strecken sie die fühler aus, auch ohne dass die eltern es wissen. dabei wünsche ich mir für die kinder : spielen spielen, bewegen, mit freunden etwas tun. nicht an der kiste sitzen....also, kompliment an euch, und herzlichen gruß, andrea
andrea seppi on Jun 10 2013
Da geht mir einfach nur das Herz auf bei diesen schönen Worten. Ich grüße aus Köln, der Stadt der zwei Türme.... und bin auf dem Weg auf#s Land ;o))
Sabine Farbenfroh de Luxe on Jun 04 2013
Vielen Dank für den Artikel! Ich kenne und liebe dieses platte Land. Als Kind war ich oft bei meiner Tante in Karlmoor bei Toststedt. Es war immer wunderschön und ich habe mich das ganze Jahr auf die Ferien auf dem Bauernhof gefreut. Selber wohnte ich damals noch mit meinem Bruder direkt in Hamburg/Winterhude. Und auch jetzt möchte ich nicht mehr in der Stadt leben. Meine Kinder sind auch in einem Dorf aufgewachsen. Sie konnten unbekümmert Fahrrad fahren und hatten herrliche Baumbuden. Der Blick in die Ferne lädt zum Träumen ein. Auch wenn es manchmal ziemlich laut ist, wenn die Treckersaison beginnt und ich wegen jedem bisschen fahren muss - tauschen möchte ich nicht mehr. Die Stadtmaus fühlt sich im Dorf rundum wohl.
Sarah Angelika Olbrich on Jun 03 2013