Sind wir Weltmeister in Missgunst? Und wenn ja: warum nur?

Ich las vor kurzem ein Interview mit einem jungen Mann, der als Erster auf der Elbe Segeltörns anbietet. Er hatte nach zwei Hörstürzen den Job als Musikproduzent aufgegeben. Sein Angebot ist das Einzige dieser Art im Hafen von Hamburg, und ich dachte: toll, mutiger Kerl. Dann stieß ich auf folgende Passage. Auf die Frage, warum vor ihm niemand auf die recht einfache Idee gekommen war, antwortet Holger Brauns:

„Wenn man keine klare Vision hat, sondern das nur ausprobieren will, steht das in keinem Verhältnis. ich glaube, auf der Elbe gibt es einen Klüngel wie auf dem Kiez: Da gönnt keiner dem anderen das Schwarze unterm Fingernagel. Man muss feinfühlig agieren, und trotzdem: Als ich anfing, wurde ich erst einmal wiederholt bei der Wasserschutzpolizei angezeigt, dabei hatte ich alle nötigen Berechtigungen.“

Missgunst – eine deutsche Spezialität?

Was mich an unseren Freund Christof „Tüte“ Schmiegel erinnerte, der auf Baltrum das Restaurant „Skipper´s Inn“ baute. 41 Anzeigen (!) gingen während der Arbeiten ein, und einer meldete – selbstverständlich anonym – dass er angeblich „kobaltbelastetes Material“ im Fundament vergraben hatte. Dabei handelte es sich um wenige Badezimmerkacheln, die er als Freundschaftsdienst für einen anderen Nachbarn in die Grube geworfen hatte. Die Behörden rückten an. Es herrschte erst Ruhe, als Tüte wütend wurde: „Okay, reißen Sie alles ab! Machen Sie den Boden auf. Sollten Sie nichts finden, wird das alles teuer, sehr teuer.“

Beispiele für solche Momente kennt jeder aus seinem Umfeld, oder hat sie selbst erfahren. Ich frage mich: Woran liegt das?

Wo kommt es her, dass es bei uns im Land dermaßen viel Missgunst gibt – und dass es möglich ist, sogar Behörden in Bewegung zu setzen, um missliebige Konkurrenz auszuschalten oder einfach nur miese Charaktereigenschaften auszuleben? Wie kann das sein?

Ein Seemann, der sich nach Afrika sehnt

Gestern sprach ich mit einem Seemann, der heute für die Seenotretter aktiv ist. Er fuhr viele Jahre in West-Afrika, steuerte Häfen wie Lagos, Conakry oder Freetown. Ich fragte ihn, ob das nicht auch schwierige Zeiten waren. Die Häfen von Westafrika sind, was Kriminalität betrifft, berüchtigt. Er entgegnete: „Nein, schwieriger war es für mich, nach Deutschland zurückzukommen.“

Bitte, wieso das?

„Die Menschen in Westafrika waren besser drauf. Die hatten viel weniger, aber die waren viel offener. Es gab keine Missgunst.“

Seine Erklärung zu den Ursachen ist einfach. Er meint, dass es uns ingesamt „zu gut“ gehe. Wer verlernt hat, zu schätzen, was ihn umgibt, ergeht sich in Nörgeleien. Wer nicht mehr in der Lage ist, sich in die Situation des Anderen zu versetzen, endet als Misanthrop.

Und mit faustgroßen Magengeschwüren.

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STEFAN KRUECKEN, JAHRGANG 1975, LEITET MIT SEINER FRAU JULIA DEN VON IHNEN GEGRÜNDETEN ANKERHERZ VERLAG. VOR DER VERLAGSGRÜNDUNG BERICHTETE ER ALS REPORTER FÜR MAGAZINE WIE MAX, STERN ODER GQ WELTWEIT, VON HOOLIGANS IN SCHOTTLAND, KINDERSOLDATEN IN UGANDA ODER EXPEDITIONSREISEN NACH GRÖNLAND.

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