KAPITÄN SCHWANDT: Der alte Mann und das Mehr
Kapitän Schwandt wartet auf der Terrasse hinter dem Mehrfamilienhaus und tut, was er immer tut: Er raucht. Noch etwas dünner ist er geworden, man sieht ihm an, dass er in den vergangenen Monaten viel Zeit in Krankenhäusern und Arztpraxen verbrachte. „Min Jung, setz`dich“, brummt er und deutet auf Gartenstuhl.
Genau vor einem Jahr hockten wir auf den Aland-Inseln zwischen Finnland und Schweden auf einer Pier und hatten große Pläne. Schwandts Biographie „Sturmwarnung“ stand monatelang in der SPIEGEL-Bestsellerliste, auf Facebook folgten ihm 160.000 Menschen, ein Internet-Riese lud ihn, 81, als Redner zu einer Konferenz für „junge Talente“ (worüber er herzhaft lachte). Doch dann wurde der Kapitän krank, schwer krank, ausgerechnet an Bord eines Kreuzfahrtschiffes, mit dem wir nach London fuhren. Zwei schwere Operationen folgten, und zeitweise sah es gar nicht gut aus.
Deshalb die wichtigste Frage zuerst: „Wie geht es dir?“
Er nimmt einen Zug an der Kippe. „Ich lebe. Ich lebe gerne“, sagt er. Pause. „Aber es wird immer schwieriger, den Kadaver am laufen zu halten.“
Der Kapitän ist schwer krank
So ist er noch immer, er will nicht jammern, er mag nicht lamentieren, und er möchte schon gar nicht den Eindruck des leidenden, alten Mannes hinterlassen. Natürlich fragen viele danach, das weiß er. Also, das ärztliche Bulletin: Das organische Leiden ist durch die Operationen besser geworden, doch ihm setzt das „Quincke-Syndrom“ zu, eine Art allergische Überreaktion, die zum Ersticken führen kann. Drei Mal in den vergangenen vier Wochen alleine bekam der alte Seemann plötzlich keine Luft mehr. Einmal auf der Couch, in der S-Bahn auf dem Weg zum Arzt, einmal in der Praxis. Bei der letzten Attacke schaffte er es gerade noch, die Tablette zu schlucken.
Das Cortison, das er nimmt, setzt andere Kettenreaktionen los, das eine bedingt das andere. Schwandt ist schwer zuckerkrank und muss vor jeder Mahlzeit seinen Blutzuckerspiegel messen und spritzen. Er nimmt täglich mehr Tabletten ein als manche Kinder Bonbons. Er sieht immer schlechter, Folge der Diabetes, und fühlt sich oft matt. Eine Fraktur des linken Knöchels, den er sich vor vielen Jahren als Matrose brach, entzündete sich. Am Stock will er deshalb nicht gehen, nicht mal heimlich, dafür ist er zu stolz. Würde ist ihm wichtig. Die Schmerzmittel aber führen zu einem Dauernebel, den Schwandt nicht mag. „Um es abzukürzen: Ich fühle mich oft müde“, sagt er, „einfach müde.“
Der Brief von Olaf Scholz
In die Öffentlichkeit mag er sich nicht mehr zeigen, das ist vorbei. Selbst dann nicht, als ihn Bürgermeister Olaf Scholz zum Matthiae-Mahl mit Kanadas Premierminister Justin Trudeau einlud. Scholz, den er in der Haifisch Bar zum MOPO-Gespräch traf und sofort mochte, fragte per Brief, wie es geht. Schwandt freut das. „Bestätigt meinen guten Eindruck von dem Mann“, meint er.
Was die Politik und das Tagesgeschehen angeht, verfolgt Schwandt so aufmerksam, wie er kann, die Lage. Er ist besorgt wegen Russlands Präsidenten Putin und dessen Aggressionen gegen die Demokratien des Westens. Er wundert sich darüber, wie SPD-Schulz von Null auf Hundert und zurück auf Null geschrieben wurde. Und er schimpft über US-Präsident Trump, von der er allerdings nicht glaubt, dass er das Ende seiner Amtszeit übersteht. „Sie werden etwas gegen ihn finden. Wäre ich jung, würde ich beim G-20-Gipfel demonstrieren. Friedlich, natürlich“, sagt er. Der Niedergang der AfD? Schwandt mag sich nicht freuen, denn die Aussicht, dass es diese Partei in den Bundestag schafft, behagt ihm nicht. „Sie werden auf Sicht den Weg der Piraten-Partei gehen und sich selbst zerfleischen. Die Partei hat keine Substanz und kein Programm. Reine Provokation und Hetze gegen Minderheiten reicht auf Dauer nicht“, sagt er.
Dankbarkeit – und bloß kein Jammern
Als wir vor einem Jahr nach Finnland reisten, sollte es um die Lebensweisheiten des Seemanns gehen. Um eine Art Logbuch des Lebens. Worauf es ankommt nach Meinung von einem, „der viel erlebt und nicht immer alles richtig gemacht hat“ (Schwandt). Es gibt kaum einen Menschen, der so ausgeglichen und umgänglich ist. „Eine meiner Altersweisheiten besteht darin, dass ich nicht ständig nach Anderen schiele. Zu Menschen, denen es gesundheitlich und materiell besser geht“, sagt er.
Seine Frau Gerlinde arbeitete als Krankenschwester. Sie unterhielten sich oft über das, was sie sah. Junge Menschen mit Krebs, querschnittsgelähmte Unfallopfer, Menschen mit unerträglichen Schmerzen, denen keine Opiate mehr helfen. „Mir geht es vergleichsweise gut. Meine Schmerzen sind erträglich und ich habe, anders als manche alten Leute, keine existentiellen Sorgen.“
Einen Tag nach dem Besuch kommt eine Email vom Kapitän an. Er schreibt: „Schreib’ es bloß nicht so, dass einer der MOPO-Leser denkt, ich versinke in Selbstmitleid. Wie Du weißt: Nichts liegt mir ferner. Gruss, Jürgen.“
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