Ankerschmerz, Straßengeschichten: Gewalt an Obdachlosen

Ich gehe fast täglich an der Platte vorbei, an der zwei Menschen vor kurzem verstorben sind.  Mir bleibt sie im Gedächtnis: die blauen Schlafsäcke an der hellen Holzfassade. Ein Mann, sein leerer Rollstuhl neben ihm. Ich versuche mir dann kurz vorzustellen, wie es sein muss, im Rollstuhl auf der Straße zu leben. Ich kann es nicht. Die Platte ist genau auf der Reeperbahn. Am Samstagabend laufen tausende Menschen vorbei, während erst ein Mann stirbt – und am frühen Morgen einige Meter weiter ein anderer Mann.

Manche Menschen sind schwer zu identifizieren. Da ist niemand, der ihre Namen kennt. Da kommt keiner zum Begräbnis. Ich höre öfter den Spruch: Man stirbt alleine.“ Das stimmt nicht: Die meisten sterben im Kreise ihrer Familie, Freunde oder Bekannten, die sie beerdigen und zu Frieden betten. Meine Gedanken sind bei den Menschen auf der Straße. Ruhet in Frieden.

Ich schreibe von zu vielen Toten.

Dieses Jahr wurden bereits 14 Obdachlose ermordet. Letzte Woche fand man in Delmenhorst eine obdachlose Frau, die zu Tode misshandelt wurde. In München machten zwei Jungs erst ein Selfie mit ihrem Opfer, um danach dessen Tüten in Brand zu stecken. Meistens stecken menschenverachtende Motive hinter den Angriffen.

Dominik Bloh, Autor von Ankerherz. Foto: Axel Martens

 

Ich war oft in Schlägereien verwickelt, denn ich mische mich ein. Ich begegne dabei zwei Sorten Schläger. Zum einen junge Menschen, bei denen der Mix aus Alkohol und Gruppendynamik gefährlich wird. Für sie ist „Pennerklatschen“  eine Mutprobe. Wenn einer anfängt, dann machen die anderen mit. Zum anderen sind da die Menschen, die schon äußerlich zeigen, dass sie mehr haben. Sie halten sich für etwas Besseres und verhalten sich besonders erniedrigend. In den Augen einiger Menschen sind Obdachlose „Untermenschen“, mit denen man machen kann, was man will. Es geht dabei um Machtdemonstration. Oft ist die Gewalt gegen Obdachlose hemmungslos und kennt keine Grenzen.

Gewalt an Obdachlosen nimmt zu

Schauen wir nicht weg. Auch das Tolerieren oder Begünstigen ist ein Tatbestand. Das Wort „Penner“ möchte ich nicht als Schimpfwort benutzt sehen. Gewalt beginnt bereits mit Worten. In München haben Passanten beherzt eingegriffen und Schlimmeres verhindert. Zeigen wir gewissen Leuten durch unser Handeln, dass sie falsch liegen. Lasst uns gut mit unseren Mitmenschen umgehen! Keine blöden Witze über Obdachlose machen.

Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, die mit Schwächeren geringschätzig umgeht.

 

DOMINIK BLOH, JAHRGANG 1988. SEIT ELF JAHREN LEBTE ER IMMER WIEDER AUF DEN STRASSEN VON HAMBURG. IM ANKERHERZ BLOG „ANKERSCHMERZ“ ERZÄHLT ER AUS SEINEM LEBEN. IN LÜRZE ERSCHEINT SEIN BUCH “UNTER PALMEN AUS STAHL”– DIE GESCHICHTE EINES STRASSENJUNGEN.  HIER KANN ES VORBESTELLT WERDEN.

 

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