ANKERSCHMERZ, Straßengeschichten: Eine Zeitung zum Überleben

Ich bin 1998 nach Hamburg gekommen. Die MOPO begleitete mich von Beginn an und ist für mich ein Teil der Stadt. Von Anfang an gehörte sie dazu. In Hamburg habe ich mit dem Fußballspielen angefangen. Ich wollte Torwart werden. Ich schnitt also die Bilder von den Torhütern der beiden großen Hamburger Vereine aus: Richard Golz (HSV) und Klaus Thomforde (FC St. Pauli). Der Sportteil interessierte mich als Lütten natürlich am Meisten.

Ich las die MOPO immer kurz vor der Schule. Ich saß auf der warmen Nachtspeicherheizung und suchte, bevor ich mich auf den Weg machte, noch den Witz des Tages. Das war mein Start in den Morgen. Ich wurde älter und schielte mit einem Auge auf die Anzeigen der aufreizenden Damen. Vorher überschlug ich schnell die Seiten, aber irgendwann blätterte ich an der Stelle langsamer. Mein Sternzeichen ist Krebs. Die erste Assoziation, die ich damit verbinde, ist der gezeichnete Krebs in der Horoskop-Spalte.

Eine Zeitung zum Überleben

Das Format der MOPO ist handlich, das hat mir gefallen. Ich kannte davor nur die Zeitungen meiner Großeltern, bei denen ich mit den Seiten kämpfte, um sie vernünftig umzuschlagen. Oft bekam ich es nicht hin. Das hat genervt. In der MOPO entdeckte ich zwischen den Veranstaltungstipps ein Konzert von Jay Z. Es war im „Docks“, 2001. Jay Z war mein Held und Hip Hop meine erste Liebe. Von nun an studierte ich die Events und markierte Daten von Künstlern, die ich unbedingt sehen wollte.

Die MOPO ist aber nicht nur eine Zeitung für mich. Als ich auf der Straße lebte, gehörte sie zu meiner Ausrüstung. Ich habe die Seiten der MOPO als Teller ausgelegt, um mein Essen darauf zu legen oder es darin eingewickelt. Ich habe mir mit dem Papier die Nase geputzt, weil nichts anderes da war. Ich habe viele Lagen Papier unter meinen Pullover gestopft, damit der Wind weniger durchzog. Ich habe meine Schuhe mit dem Papier ausgestopft, damit sie nicht weiter durchnässen.

Um durch die Nacht zu kommen, kaufte ich am Hauptbahnhof immer eine MOPO. Sie ist günstig und man bekommt sie als einer der ersten zu kaufen. Ich löste das Kreuzworträtsel, um nicht bei McD am Tisch einzuschlafen. Ich las jedes einzelne Wort, um Zeit zu überbrücken und um wenigstens etwas auf dem Laufenden zu bleiben. Nun schlage ich die MOPO auf und lese meine erste Kolumne.

Meine Wörter, hier abgedruckt! Das ist so krass. Danke.

Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Gerade erschien sein Buch darüber: Unter Palmen aus Stahl, überall im Handel und versandkostenfrei hier im Webshop bei uns.

 

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