ANKERSCHMERZ, Straßengeschichten: Leben von Pfand
Es ist das Ende eines Monats, wenn das Geld noch knapper wird. Ich stehe an der Schlange im Supermarkt. „Bar oder mit Karte?“, fragt die Kassiererin. Ich bezahle mit Pfand. Auf der Straße war das immer meine Währung. Meine Haupteinnahmequelle war es, Flaschen zu sammeln.
Der Winter ist keine gute Jahreszeit für Flaschensammler. Im Winter sind es weniger Flaschen, die man in den Mülleimern findet. Sondern vor allem Becher, aus denen heißer Kaffee oder Tee getrunken wurde. Es gibt wenig zu holen, wenn es draußen kalt ist. Hier und da mal eine Glasflasche. Bringt acht Cent. Vielleicht schaffte ich an einem Wintertag fünf Euro, von denen ich mir ein Abendessen besorgen konnte.
Leben vom Pfand
In Mülleimer zu fassen, das ist demütigend. Niemand sollte es tun müssen. Es sind nicht nur Obdachlose, die in Abfällen auf der Suche nach Pfand oder Verwertbarem sind. Ich sehe viel Altersarmut in unserer reichen Stadt. Wenn ich am Hauptbahnhof verabredet bin und auf dem Vorplatz noch eine Kippe rauche, kann ich jede Minute einen anderen Menschen beobachten, der einen Mülleimer durchsucht. Es sind viele ältere Menschen, die mit ihrer Rente nicht auskommen. Es sind aber auch Geringverdiener, deren Lohn nicht ausreicht, die Familie über den Monat zu bringen.
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Sie alle greifen in das schwarze Loch. In der Hoffnung auf 25 Cent.
Im Winter sind es weniger Flaschen, doch es ist nicht so eklig wie im Sommer. Es scheint sowieso, als würde der Schnee den ganzen Dreck der Stadt mit Puderzucker überdecken, und in dem weißen Schimmern sieht alles schon nicht mehr so schlimm aus. Ich mag Schnee.
Niemand sollte im Müll Graben müssen
In der heißen Jahreszeit fühlt es sich an, als würde man in einer Abfalltonne in einen Sumpf greifen. Fast-Food-Reste und klebrige Softdrinks mischen sich zu einem Brei. Die Hitze wärmt ihn auf und verbreitet seinen Gestank. Im Abfall suchen nicht nur Menschen nach etwas Nützlichem. Ratten und Insekten leben aus den gleichen Tonnen. Es ist nicht schön, mit der Hand da reinzugehen, vor allem klebt es an einem. Wie soll ich die Hand schnell wieder sauber kriegen?
Darum am besten immer mit Handschuhen, nicht nur im Winter. Außerdem weiß man nie, was man noch so findet. Im Müll kann eben wirklich alles liegen. Eine Glasscherbe zum Beispiel, an der ich mich schneide, oder – meine größte Angst – ich könnte in eine Spritze fassen.
Niemand sollte im Müll graben, um Essenreste oder Pfand rauszufischen. Es braucht keine Ringe oder keine Kästen. Es ist ganz einfach: Pfand gehört daneben gestellt. Für alle Menschen, die damit überleben.
Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Gerade erschien sein Buch darüber: „Unter Palmen aus Stahl“, überall im Handel und versandkostenfrei hier bei uns im Online Shop.
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