Mann über Bord! Zwei Menschen stürzen von Kreuzfahrtschiffen
Mann über Bord! Zwei Menschen sind innerhalb nur einer Woche von Bord von Kreuzfahrtschiffen gestürzt. Vor der Küste von Australien fiel eine junge Frau in bewegter See von Bord des P&O-Schiffes „Pacific Dawn“. Ein anderer Unfall wird von Bord der „Anthem of the Seas“ gemeldet; vor New Jersey an der Ostküste der USA ging ein junger Mann über die Reling. In diesem Fall geht man davon aus, dass sich der Passagier das Leben nehmen wollte.
Beide Menschen konnten nicht gerettet werden.
Etwa 300 Menschen sind seit 2000 von Bord von Kreuzfahrtschiffen gefallen. 2017 waren es bislang 17 Passagiere. Die meisten Unfälle enden tödlich. Das klingt auf den ersten Blick nach einer großen Zahl. Doch setzt man es in Verhältnis, relativiert sich das Bild: Mehr als 20 Millionen Passagiere treten in jedem Jahr eine Kreuzfahrt an. Tendenz steigend.
Mann über Bord! Alptraum für jeden Kapitän
Mann über Bord! Dass solche Unfälle meistens tödlich enden, erstaunt nicht. Überlebt der Passagier den Sturz aus großer Höhe auf die Wasseroberfläche, die so hart ist wie Beton, ist vor allem die Wassertemperatur ein Problem. Ist das Wasser 4.5 Grad kalt, bleiben maximal dreißig Minuten bis zur tödlichen Unterkühlung; bei zehn Grad ist es etwa eine Stunde. Es dauert aber einige Zeit, bis der Kapitän ein großes Schiff aus voller Fahrt gewendet hat. Und: Eine Person in aufgewühlter See zu finden, ist schwierig und manchmal unmöglich.
Drei Hauptursachen für Stürze von Kreuzfahrtschiffen gibt es: suizidale Absichten. Trunkenheit und Verbrechen. Barkeeper der Schiffe sind geschult, darauf zu achten, Betrunkene nicht weiter zu bedienen. Sicherheitspersonal dreht auf den meisten Schiffen regelmäßig Runden. Und dennoch kommt es immer wieder zu dramatischen Momenten.
Über einen Fall berichtet der erfahrene Schiffsarzt Dr. Horst Schramm in unserem Buch „Dr. Kreuzfahrt“:
„In der kommenden Nacht auf dem Atlantik schlafe ich unruhig, werde immer wieder geweckt durch die Schläge der Wellen gegen den Bug. Mein Telefon blinkt Rot, ich greife zum Hörer, der Kapitän ist dran:
„Gute Abend Doc. Aufstehen, gleich gibt es Alarm!“
Ich habe keine Zeit, zu fragen, was los ist. Ich höre es wenig später. „Bravo-Bravo“, das heißt „Mann über Bord“, mit dieser Durchsage weckt er nun, nachts um 2.00 Uhr, Jeden an Bord, es gibt keine Ausnahmen. Ich weiß, was nun folgt: Bei diesem Alarm sind besonders das Suchteam auf der Brücke und das Medical Team gefragt. Ich ziehe mich an und trete hinaus auf den Gang. Während die letzten Gäste aus Rick’s Bar Richtung ihrer Kabinen wanken, hasten der Bootsmann und das gesamte Deck Department an mir vorbei.
Die Rettungsboote sind draußen
Alle Seitentüren auf Deck 3 werden geöffnet, und man lässt die Rettungsboote bemannt zu Wasser. In diesem Moment geht ein unbeschreiblicher Lärm durchs Schiff. „Nothalt!“ Alle Maschinen laufen bei voller Maschinenleistung rückwärts, Bug- und Heckstrahlruder heulen und drücken das Schiff in eine Schräglage nach Backbord. Das Schiff fährt, von oben betrachtet, eine Acht. Das Meer ist gespenstisch rot erleuchtet. Leuchtmunition und Signalraketen im Himmel. Wir haben beschlossen, den Geretteten, sofern wir ihn finden, an der Lotsenpforte neben dem Hospital an Bord zu nehmen. Tag. Ein Taucher und zwei Rettungsschwimmer sind bereit, die Ausrüstung des medizinischen Teams ist einsatzbereit.
Doch wir finden niemanden.
Was ist passiert? Der wachhabende Matrose hatte auf seinem Rundgang Frauenschuhe und einen angefangenen Brief unweit von Rick’s Bar gefunden. Ist jemand gesprungen? In der Dunkelheit der Nacht das Meer abzusuchen, ist nicht einfach, vor allem nicht bei diesem Seegang. Vor einigen Jahren erlebte ich einen ähnlichen Fall in der Deutschen Bucht, ebenfalls mit Kapitän van de-Mache. Eine Offiziersanwärterin war nachts aus ungeklärter Ursache von Bord des Segelschulschiffs „Gorch Fock“ gefallen und unser Schiff beteiligte sich an der Suche, die ganze Nacht lang. Es war vergeblich.
Eine Stunde vergeht. Der Scheinwerfer huscht über die See, doch von der vermissten Frau keine Spur. Ist sie ertrunken?
Die dünne Decke der Zivilisation
„Mann über Bord!“ Der Kapitän lässt alle Gäste mitten in der Nacht in die Queen’s Lounge rufen. Eine Entscheidung, die ihm unter den Passagieren bestimmt nicht viele Freunde macht. Er hält eine kurze, aber eindrucksvolle Rede, in der er den Ernst der Lage schildert. Es geht um das Leben eines Menschen, um nicht weniger, und er trägt in diesem Moment die Verantwortung. Als er endet, fragt er eindringlich:
„Also: Wem gehören diese Schuhe und der Brief?“ Er hält das Papierstück in die Höhe.
Eine Pause entsteht, man kann die Spannung spüren. Eine junge Frau erhebt sich, sie geht langsam nach vorne.
Ein Raunen geht durch den Raum, einige Passagiere buhen.
Die Nacht ist natürlich beendet, der neue Tag bricht am Horizont an, und die See leuchtet in tiefem Rot. Wir diskutierten noch einige Zeit und vermuten, dass die junge Frau springen wollte, sie aber der Mut verließ. Ich bin froh, dass es so ausgegangen ist. Als ich zum Frühstücksbuffet gehe, höre ich, wie ein „Vielfahrer“ der jungen Frau zuruft: „Am besten wäre es gewesen, Sie wären gesprungen!“
Die Menschenliebe endet für manche dort, wo die Nachtruhe in Gefahr ist. Zivilisation ist für mich keine Frage des sozialen Status.“
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