ANKERSCHMERZ, Straßengeschichten: Gewalt gegen Kinder

In einem Interview rede ich mit einem Journalisten über meine Kindheit. Ich werde gefragt, ob es Zuhause richtige Prügel gab oder nur mal einen Klapps. Das wäre ja nicht so schlimm, meint der Journalist. Das gehöre doch zur Erziehung dazu.

Ich finde, dass kein Erwachsener seine Hand gegen ein Kind erheben darf! Dafür sind wir Erwachsene den Kindern doch viel zu überlegen. Wir haben so viele Mittel zur Verfügung, um nicht auf die einfachste Methode zurückgreifen und unseren Kräftevorteil auszunutzen. Genau das bedeutet es für mich, jemanden zu missbrauchen.

Gewalt gegen Kinder: Es war für mich Alltag

Ich versuche schon seit sehr langer Zeit, mir meine frühestenErinnerungen ins Gedächtnis zu rufen. Wenn ich diese Zeitreise mache, desto weiter ich zurück gehe, umso mehr Bilder tauchen in meinem Kopf auf. Ich werde übers Knie gelegt. Ich kriege auf den Arsch.

Dominik Bloh, Autor von Ankerherz. Foto: Axel Martens

 

Ich kann mich im Detail an den schwarzen Ledergürtel mit der silbernen Adlerschnalle erinnern, oder an den Teppichklopfer mit den verschnörkelten Mustern. Sie sind genauso allgegenwärtig wie die Perlenohrringe meiner Großmutter oder der Filzhut, den mein Opa immer trug. Meine Oma und mein Opa schlugen mich nie, sie waren immer gut zu mir. Was sonst geschah, werde ich nie vergessen.

Die Erinnerungen haben sich eingebrannt

Wie dieser Journalist machen viele Menschen einen Unterschied, wenn es „nur“ darum geht, den Po zu versohlen“. Für mich hat es keinen Unterschied gemacht. Ich kann nicht mehr an den Schmerz erinnern. Die Schläge konnte ich ertragen. Ich habe einfach an meine Oma gedacht und daran, was wir beim nächsten Mal Schönes erleben werden.

Was sich eingebrannt hat, sind Momente, die Hose runterzulassen und mich zu bücken. Das Warten auf den ersten Schlag war qualvoll. Kinder sind ausgeliefert, sie können sich nicht wehren. In jedem Kind zerbricht etwas,wenn es Gewalt erfährt. Es macht keinen Unterschied, ob mir meine Mutter den Hintern versohlte oder mich mein Stiefvater verprügelte. Es sind die gleichen Abläufe. Schlimm war es auch, wenn es Schläge gab, ganz ohne Grund. Ganz plötzlich, einfach so.

Das Gefühl der Einsamkeit

Ich habe ins Bett gemacht, nur aus Angst davor, dass er in der Nacht rein kam. Es waren nicht die Prügel, vor denen ich mich fürchtete. Es war das Knarren der Dielen, wenn er in mein Zimmer auf dem Dachboden gekommen ist. Was vor den Schlägen passierte, hat mich genau kaputt gemacht wie das,was danach geschah. Dass ich liegen gelassen wurde. Ich habe mich so einsam gefühlt. Meine Mutter hat es verdrängt oder selber ausgeholt. Vor meinem kleinen Bruder wollte ich stark sein, und so blieb ich damit alleine.

Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Gerade erschien sein Buch darüber: „Unter Palmen aus Stahl“, überall im Handel und hier bei uns im Onlineshop.

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