Der letzte Kap Hoornier: Zum Tode von Kapitän Hans-Peter Jürgens
Wir trauern um einen alten Kap Hoornier.
Kapitän Hans-Peter Jürgens ist im Alter von 94 Jahren verstorben. Er ist friedlich in seinem Kieler Haus eingeschlafen, wie uns seine Familie mitteilte. Ihr gilt unser Beileid und unser Mitgefühl.
Hans Peter Jürgens, Jahrgang 1924, fuhr mehr als 50 Jahre zur See. Er war einer der letzten Kap Hoorniers, also einer der Männer, die unter Segeln und mit Fracht an Bord das Kap der Stürme passierten. Er war Kapitän, Lotse und einer der wichtigsten Marinemaler Deutschlands.
Der letzte Kap Hoornier
Aus heutiger Sicht ist kaum vorstellbar, was Hans-Peter Jürgens als Schiffsjunge mitmachte, als er 1939 in Hamburg an Bord der Viermastbark Priwall ging. Aus Anfängern mussten innerhalb weniger Wochen Seemänner gemacht werden, die in den Stürmen vor Kap Hoorn hoch oben in den Rahen das Schiff auf Kurs hielten.
Die schweren Stürme, Kälte, Schlafentzug, Schikanen des Bootsmannes und die schlechte Verpflegung setzten der Crew zu. Jürgens beschrieb dies in seiner Biographie „Sturmkap“ sehr eindrücklich, schon im Prolog. „Es wäre so einfach. Einfach die Hände von den Rahen nehmen uns nach hinten fallen lassen. Soll ich die Qual beenden?“
Als der Großsegler aus Hamburg in Valparaiso festmachte, begann für den Schiffsjungen eine Irrfahrt durch eine Welt im Krieg. Er schuftete als Straßenbauer in Chile, wurde einem Frachter zugeteilt, den ein englisches Kriegsschiff versenkte. Als Kriegsgefangener überlebte er ein Lager im afrikanischen Dschungel und fütterte Bären an Kanadas Großen Seen. Nach sieben Jahren kehrte er zurück in eine zerstörte Heimat. Seinen Traum, Kapitän zu werden, gab Jürgens nie auf. Dafür schuftete er auf Fischkuttern, brannte Schnaps in London und ging nach einer gescheiterten Grenzflucht sogar in den Knast.
Ein Leben wie ein Abenteuerroman
Sein Leben, vor allem in jungen Jahren, erinnert an einen Abenteuerroman. Ich erinnere mich an hunderte Stunden in seinem Wohnzimmer, in dem wir viel Kaffee tranken und er mir davon erzählte. Nie übertrieb er, kein Wort, egal wie dramatisch die Episode auch ausfiel. Angeber konnte Jürgens nicht ausstehen.
Wenn ich mich an Hans-Peter Jürgens erinnere, denke ich an einen Filou. Selbst im hohen Alter hatte er etwas Jungenhaftes. Etwas Schelmisches. Auf manche Fragen oder auf Dinge, die ihm an der heutigen Zeit nicht passten, antwortete er nur mit einem Blick. Dann zog er die Brauen zusammen, dass man glaubte, sie knistern zu hören.
Es ist ein Privileg, dass ich mit ihm über sein Leben reden und es mit ihm gemeinsam aufschreiben durfte. Das Buch führte uns auch vor das Kap der Stürme. Das Hörbuch von „Sturmkap“ las Axel Prahl ein. Nach der Vorstellung im Internationalen Maritimen Museum Hamburg lud uns die Reederei Deilmann ein, auf eine Reise mit dem „Traumschiff“.
Noch einmal am Sturmkap
So kam es, dass wir 70 Jahre, nachdem Jürgens Kap Hoorn mit der „Priwall“ umrundete, mit einem Kreuzfahrtschiff vor dem Sturmkap kreuzten. Das Wetter war typisch, der Himmel grau und wie aus Blei. Doch wie für diesen Augenblick bestellt, öffneten sich die Wolken. Ein Lichtstrahl erhellte Kap Hoorn, als richte jemand einen Scheinwerfer auf das graue Gestein.
Kapitän Hans Peter Jürgens lächelte. Er wirkte glücklich, auch wehmütig, seine Augen waren feucht. Was er empfand? Die Frage erübrigte sich, denn er mochte nicht darüber reden.
Die Tränen in seinen Augen erklärte er mit dem Wind.
Auf der Isla Hornos vor dem Kap, auf 55˚ 59’ Süd und 67˚ 14’ West steht ein Denkmal, das einen Albatros zeigt. Auf dem Steinsockel liest man ein Gedicht der Chilenin Sara Vial.
„Ich bin der Albatros, der am Ende der Welt auf dich wartet.
Ich bin die vergessene Seele der toten Seeleute,
die Kap Hoorn ansteuerten von allen Meeren der Erde.
Aber sie sind nicht gestorben im Toben der Wellen.
Denn heute fliegen sie auf meinen Flügeln in die Ewigkeit.“
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