Seemannsdiakon Sturm: Single´s Day und Konsumwahn

Single´s Day und Konsumwahn. Jede Woche schreibt Fiete Sturm, Seemannsdiakon von Hamburg-Altona, eine Kolumne für den Ankerherz Blog. Thema Diesmal: Ich, ich, ich – Vom Singles‘ Day, Trump und dem cleveren Konsumterror.

Am 11.11.2020 wache ich recht spät auf. Noch im Bett schaue ich aufs Handy, um zu sehen, ob ich eventuell wichtige Nachrichten habe. Zum Glück nur eine Mail, die mein Kollege Martin bereits beantwortet hat. Als zweites ploppt eine Werbeanzeige auf der Einkaufs-App meines Discounters auf. Ich lese:

ES IST DER 11.11 – SINGLES‘ DAY!!! – SUPERGÜNSTIGE ANGEBOTE! JETZT SPAREN!

Ich reibe mir immer noch müde die Augen und frage mich: Was? Wie? Singles‘ Day? Watt für’n Tach? Hab ich was verpasst? Also dusche ich, setze mich an den Wohnzimmertisch, schiebe eine Scheibe Brot in den Toaster und recherchiere, was es mit diesem ominösen „Singles‘ Day“ auf sich hat.

Offensichtlich ist das ein Tag, der vor allem in China für und von – ursprünglich männlichen – Singles begangen wird. Ging es ursprünglich darum, eine Art Thementag für alleinstehende Menschen zu zelebrieren, ist dieser Tag mittlerweile der weltweit umsatzstärkste Tag im Onlinehandel.

Konsumwahn und Donald Trump

„Großartig!“, denke ich mir. „Ein weiterer Tag neben Black Friday, Cyber Monday und wie sie alle heißen, an denen ich irgendwas kaufen soll, was ich eigentlich gar nicht brauche.“

Ich sitze weiter am Tisch und denke nach, welchen Anteil ich an diesem Konsumgetöse habe. Mein Handy, Toaster, großer Smart TV, gekrümmter PC Bilderschirm, der Discounter um die Ecke. Wenn ich ehrlich bin, stecke ich mitten drin, ohne es wirklich zu wollen. Es ist mir irgendwie peinlich, zu wissen wie dieser Konsumwahn riesiger Einkaufsketten und Onlinewarenhäuser funktioniert – und trotzdem Teil davon zu sein.

Meine eigene Konsumhaltung und mein Wunsch für eine gerechtere Welt beißen sich hier regelmäßig und ich weiß nicht, ob ich diesen Widerspruch so bald auflösen kann.

Er ist perfekt auf uns zugeschnitten und formt unsere Gesellschaft in, meiner Ansicht nach, gefährlichem Ausmaß. Er erzählt mir und uns allen, dass ICH wichtig bin. Lässt mich spüren, dass es okay ist, auf MEINE Bedürfnisse zu hören. So weit, so gut. Nichts spricht dagegen, auf sich selbst zu achten. Es ist wichtig, ein gesundes Selbstwertgefühl zu pflegen. Aber wir sind längst an einem Punkt, an dem gesellschaftliche Ideale wie Solidarität und Empathie kein selbstverständlicher Konsens mehr sind. Wir werden darauf getrimmt, unsere eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Und wenn wir mal an andere denken dürfen, dann am besten, um ihnen ein tolles Geschenk zum nächsten Konsumtag zu machen.

Ich, ich, ich. Wo führt das hin?

Wenn ich diesen Gedanken weiter denke, ist ein Donald Trump eigentlich nur die logische Spitze dieses Ichbezogenen Eisberges. Ein groteskes Bild dessen, was mit einem Menschen passiert, der die totale und absolute Selbstbestätigung braucht, um zu funktionieren. Der einzig und allein für die Menschen da ist, die sein Weltbild teilen und an seiner Agenda mitarbeiten. Der die Größe und Weitsicht nie erlernt hat, die ein demokratisches Regierungsoberhaupt eigentlich innehaben sollte.

Aber wie schaffen wir es – wie schaffe ICH es nun – ein Gleichgewicht zwischen gesundem Individualismus und empathischer Solidarität zu bewahren? Und das in einer Welt, der in der Konzerne und Werbemedien ständig und mit allen Mittel auf mich einwirken genau das nicht zu tun?

Ich glaube nicht, dass wir es zeitnah schaffen, dieses System zu ändern oder gar abzuschaffen. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir realisieren, dass der Kapitalismus längst tief und fundamental in unserer Lebenswirklichkeit verankert ist. Und ich für meinen Teil versuche, zu lernen damit umzugehen. Meine Arbeit in einem sehr weltoffenen und sozialem Feld wie der Seemannsmission bietet mir hier immer wieder ein gewisses Korrektiv. Ebenso Gespräche mit Kollegen, Freunden und Seeleuten.

AfD, Querdenker, Schuldige suchen

Daran merke ich, wie wichtig es ist, erstmal überhaupt über das Thema zu reden. Sich klar zu machen, wohin wir als Gesellschaft steuern und was das konkret für unser eigenes tägliches Leben bedeutet. Welchen Anteil wir selbst daran haben. Und damit meine ich, uns nicht von den vermeintlich einfachen Lösungen und Parolen der Ewiggestrigen verleiten zu lassen. Die Wege der Trumps dieser Welt, der AfD, „Querdenker“ und wie sie alle heißen, sie  zielen darauf, die Schuld abzuwälzen statt konstruktiv zu werden.

Dabei kann es ganz einfach sein. Man muss nicht ein mal großartig auf etwas verzichten. Aber statt sich bei Facebook darüber aufzuregen, dass „der Flüchtling“ alles in den Hintern geblasen bekommt, während alte Omas Pfandflaschen sammeln müssen“ wäre es kein großer Aufwand, einmal im Monat 3-4 Stunden in einer sozialen Einrichtung auszuhelfen. Oder fünf Euro an eine gemeinnützige Organisation zu spenden. Oder einfach mal beim nächsten Einkauf beim Bäcker ein belegtes Brötchen für den Obdachlosen um die Ecke mitzunehmen.

Das alles löst sicher nicht die Probleme unserer Zeit. Es bekämpft aber erstmal die Symptome und hilft, das eigene Bewusstsein zu schärfen und über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken. Und es ist ein Beispiel für andere, dass Solidarität und Empathie keine schwierigen, hochtrabende Begriffe sind.

Es ist oft etwas handfestes, einfaches, das man einfach tun kann.

Wie geht es Euch damit? Erlebt ihr ähnliche Probleme und wenn ja, wie geht ihr damit um? Seid ehrlich! Ich bin gespannt auf eure Meinung! Diskutiert mit auf der Facebook-Seite von Ankerherz.

Aus dem Hamburger Hafen,
euer Fiete Sturm

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