Sensation: Forscher entdecken Kirche von Rungholt nahe Hallig Südfall
Rungholt ist so etwas wie das Atlantis des Nordens. Ein Ort der Mythen und Legenden, der 1362 bei einer gewaltigen Sturmflut in der Nordsee versunken sein soll. Nun haben Wissenschaftler eine bislang unbekannte, zwei Kilometer lange Kette mit Siedlungshügeln entdeckt. Einer dieser Hügel zeigt Strukturen, die zweifelsfrei Fundamente einer Kirche sind, sagen die Forscher.
Der Mythos Rungholt befeuert seit Jahrhunderten die Phantasie der Menschen. Nach mehr als 100 Jahren ist nun endlich geklärt, wo sich der geheimnisvolle Ort geografisch befindet: Forschende, unter anderem von der Uni Kiel, konnten in einem Gemeinschaftsprojekt den Standort der Rungholter Kirche lokalisieren.
Die Kirche von Rungholt
Die Kirche ist „Mittelpunkt eines Siedlungsgefüges“, sagt Ruth Blankenfeldt vom Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie (ZBSA) in einer Mitteilung der Uni Kiel. Dazu gehören zwei kleinere Kirchen, eine Seedeich mit Sielhafen und systematische Entwässerungssysteme.
Rungholt befindet sich demnach im nordfriesischen Wattenmeer nahe der Hallig Südfall. Knapp 600 Quadratmeter groß soll die Kirche sein. Durch geophysikalischen Arbeiten entdeckte das Forscherteam die mittelalterlichen Warften. 54 solcher Warften – Siedlungshügel – haben sie bereits gefunden und dafür ein Gebiet von zehn Quadratkilometern untersucht.
Möglich wurde der spektakuläre Fund durch das Teamwork der Wissenschaftler. Seit Jahren sind zwei von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekte im Einsatz. Zum einen das Rungholt Projekt, zum anderen das Wattenmeerprojekt im sogenannten Exzellenzcluster Roots. Forscher verschiedener Fachdisziplinen aus Kiel, Mainz und des Archäologischen Landesamtes arbeiten dabei zusammen. Sie finden mittels modernster Technik heraus, wie sich Siedlung und Landschaft veränderten.
Es ist auch ein Wettlauf gegen die Zeit. „Um Hallig Südfall und in anderen Wattflächen sind die mittelalterlichen Siedlungsreste bereits stark erodiert und oft nur noch als Negativabdruck nachweisbar. Dies zeigt sich auch im Umfeld der Kirchwarft sehr deutlich, so dass wir die Erforschung hier dringend intensivieren müssen“, sagt Dr. Hanna Hadler vom Geographischen Institut der JGU Mainz.
Rungholt – die versunkene Insel
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Lange gibt es nur die Legende: von der reichen Stadt im nordfriesischen Watt, die im Mittelalter von einer gewaltigen Flut heimgesucht und zerstört wird. Erst nach einem Zufallsfund im 20. Jahrhundert erkennen Historiker an: Es hat Rungholt tatsächlich gegeben. Die Geschichte einer großen Spurensuche in drei Akten.
Seit Tagen schon weht es hart aus Nordwest. Brüllend krachen Brecher auf die Deiche, sie werden nicht mehr lang halten, das kann jeder sehen. Schon die letzte Ebbe hat kaum noch Erleichterung gebracht, weil der Wintersturm mit solcher Macht in die Deutsche Bucht drückt, dass die Wassermassen nicht mehr abfließen können, wie es die Gezeiten eigentlich gebieten. Mit jeder Flut steigt der Pegel weiter an.
Die Bewohner der Insel haben sich auf die höchsten Warften zurückgezogen, aber auch das wird ihnen nicht helfen. Am 16. Januar 1362 brechen die Deiche, die Nordsee flutet die Insel. Sie zertrümmert Hütten und Scheunen, sie reißt den Menschen buchstäblich den Grund unter den Füßen weg. Von der Kirchwarft in Rungholt, die sich mehr als vier Meter über den Grund der Insel erhebt, müssen die Menschen zusehen, wie ihre Insel von der See verschlungen wird. Und die Flut steigt weiter. Niemand wird diesen Tag überleben.
Die Grote Mandränke
Als der Orkan sich ausgetobt hat, ist von der Insel nichts mehr zu sehen. Die Katastrophe geht als Grote Mandränke – das große Ertrinken – in die Geschichte Nordfrieslands ein. Zehntausende sind entlang seiner Küsten umgekommen, die Landschaft ist verwüstet. Husum, ursprünglich viele Kilometer vom offenen Wasser entfernt gelegen, ist jetzt Stadt am Meer.
Die Insel davor hat die See verschluckt. Und es ist, als hätte es sie nie gegeben. Als hätte Rungholt nie existiert (…)
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Es gibt keine Einträge in den Annalen, keine Berichte von Zeitzeugen, als ob die Geschichte keine Kenntnis genommen hätte von diesem schrecklichen Ereignis. Es liefert lediglich aus dem Zwischenreich der Legenden den Stoff für eine Parabel, ein Lehrstück über die Gier des Menschen, seine Hybris.
Deshalb finden nicht Historiker oder Archäologen die ersten Spuren, sondern Sammler norddeutscher Sagen. Der Pfarrer Anton Heimreich von der Insel Nordstrand hört sie und schreibt sie 1634 auf, und dann passiert lange nichts. Bis Theodor Storm, Jurastudent in Kiel, mit zwei Freunden an der Universität Kiel anfängt, die Lieder und Märchen seiner Heimat zusammenzutragen. Bei seinen Zügen durch die Sagenwelt stößt Storm auch auf die Legende von Rungholt, und 1871 erzählt er in der Novelle „Eine Halligfahrt“, was sich in Nordfriesland vor vielen hundert Jahren zugetragen haben soll.
Sagenhaft reiche Stadt
Sagenhaft reich war die Stadt im Wattenmeer, mit stattlichen Giebelhäusern, Türmen und Mühlen. Storm schreibt: „Auf allen Meeren schwammen die Schiffe von Rungholt und trugen die Schätze aller Weltteile in die Heimat; wenn die Glocken zur Messe läuteten, füllten sich Markt und Straßen mit blonden Frauen und Mädchen, die in seidenen Gewändern in die Kirche rauschten.“
Aber den Leuten von Rungholt ist im Erfolg die Demut abhanden gekommen. Wenn die Männer zur Zeit der Stürme nachts von den Gasthäusern zurückkehren, steigen sie noch einmal auf ihren hohen Deich und brüllen „hohnlachend auf die anbrüllende See hinab: Trotz nu, blanke Hans!“
Die Glocken von Rungholt
Aber es kommt schlimmer, die Insulaner zollen auch heiligen Institutionen keinen Respekt mehr. In einem Saufgelage machen sie eine Sau betrunken, und als es dem Tier ganz elend geht, rufen sie nach dem Pfarrer, damit er dem besoffenen Vieh die Sterbesakramente reicht. Da, berichtet Storm, „ergrimmte der Herr und ließ wie zu Noä Zeiten seine Wasser steigen; und über die Deiche und Mühlen und Türme schwollen sie.“ Und Rungholt wurde – mitsamt seiner blonden Frauen und trotzigen Männer – von den Wogen komplett verschluckt (…)
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