ANKERSCHMERZ: Gegen das Wegsehen
Hintergrund: Im Prozess gegen zwei Männer und eine Frau wegen unterlassener Hilfeleistung sind vor dem Amtsgericht in Essen-Borbeck die Urteile gefallen: Geldstrafen. Die Angeklagten sollen am 3. Oktober 2016 im Foyer einer Bank einem kollabierten 83-Jährigen nicht geholfen haben. Der Rentner hatte auf dem Boden gelegen, während die Kunden am Automaten ihre Bankgeschäfte abwickelten. Ohne sich um den alten Mann zu kümmern, verließen sie Bank. Erst knapp 20 Minuten nach dem Zusammenbruch des 83-Jährigen setzte ein Bankkunde einen Notruf ab. Der alte Mann starb eine Woche später im Krankenhaus.
Das ist Dominiks Blog:
„Du betrittst eine Bank. Ein Mann liegt mitten auf dem Boden. Was würdest du tun?
Vier Menschen in Essen haben sich entschieden, nichts zu tun. Sie steigen über den Menschen, laufen in einem großen Bogen an ihm vorbei oder gehen auch direkt neben ihm vorbei. Sie machen ihre Erledigungen und verlassen die Bank. Sie lassen den Mann liegen. Der Mann stirbt. Vor Gericht sagen sie aus, sie hätten den Mann für einen Obdachlosen gehalten. Die Angeklagte sagte außerdem, dass sie schon öfters von Obdachlosen belästigt und angeschrien worden sei.
Ich bin nichts wert. So habe ich mich draußen gefühlt. Genau deshalb, wir scheinen es diesen Personen nicht wert gewesen zu sein zu helfen.
Gegen das Wegsehen
Heute wurden drei Angeklagte zu einer Geldstrafe wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt. Die Geldstrafen liegen zwischen 2400 Euro und 3600 Euro.
Ich glaube Ihnen, wenn sie sagen, dass sie den Mann für einen Obdachlosen hielten. Ich weiß, wie flüchtig mich Menschen ansahen, wenn ich mit meinem Becher schnorren war. Auf dem Boden sitzen nur Penner. Der Abschaum liegt auf dem Stein. Das Bild sitzt fest im Kopf.
Deswegen laufen wir mit Scheuklappen auf, schnell rein und wieder raus.
„Schau da nicht hin“ sagte meine Mutter immer zu mir, als wir am Hauptbahnhof entlanggegangen sind, vorbei an den Bettlern und Junkies. Ich wurde immer vor Ihnen gewarnt. Mir hat nie jemand etwas angetan.
Schau da nicht hin
„Schau da nicht hin!“ sagte mein Lehrer als wir auf einem Ausflug waren. Ein Mann lag verletzt auf dem Boden, er blutete. Ich war mir sicher, dass er Hilfe benötigte. Ich sollte stattdessen in der Reihe bleiben und weitergehen. Ich sollte wegsehen.
„Schau da nicht hin!“ In der Bahn fahre ich oft die Strecke über die Alster. Auf der einen Seite die schöne Binnenalster mit den beleuchteten Kaufhäusern und den schicken Bauten. Ich habe immer auf die andere Seite geguckt, unter die Brücke, wo Menschen ihr Zuhause in Zelten aufbauten.
Es scheint, als werde mir beigebracht, nicht hinzusehen. Ich soll mich nicht einmischen. Das geht mich nichts an. Ich soll wegsehen.
Ich habe für mich entschieden, dass alles was ich sehe, mich auch etwas angeht. Ich habe mich entschlossen hinzuschauen. Ich will nicht wegsehen.
Lasst uns die Zeit nehmen für einen Menschen!
Betrachtet man die Situation genauer, würde man sich denken können, dass es sich bei diesem Mann nicht um einen Obdachlosen handelte. Wir schlagen unser Lager in den Ecken auf. Wir tragen unser Heim auf dem Rücken oder in Taschen und die Schlafrolle und ein Schlafsack sind mit Sicherheit auch irgendwo verstaut. Wir leben hektisch, da können Menschen schon schnell mal untergehen.
Wir müssen uns diese Zeit nehmen, einen Blick wagen, und spätestens dann sollten wir uns bewusst werden in welcher Lage sich jemand befindet und reagieren. Wir müssen unsere Umwelt bewusster wahrnehmen. Den Notruf wählen!
Das können wir alle und damit einem Mitmenschen womöglich das Leben retten.
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