ANKERSCHMERZ, Straßengeschichten: Die ersten warmen Tage
In den Parks, vor Cafés und Kneipen sitzen Menschen in der Sonne. Alle genießen die ersten heißen Tage des Jahres. Ich bin unterwegs zu den Palmen am Hafen, immer noch mein Lieblingsort in der Stadt. Ich fahre zur Reeperbahn, hier bin ich schon mein halbes Leben lang. Im Durchgang der Bahnstation, kurz vor den Treppen nach oben, ist viel los. Hier gibt es hinter der Fassade einen versteckten Wasserhahn. Dort füllen Menschen ihre Flaschen auf.
Einige Meter weiter kniet eine Frau und durchwühlt eine Handtasche, die auf dem Boden liegt. Sie guckt die Sachen durch. Alles, was sie brauchen kann, steckt sie sich ein.
Treppen hoch, Luft anhalten. Die ersten Meter riecht es immer nach Pisse. Der Kiez stinkt an vielen Ecken. Ich gehe durch den kleinen Park. Hier liegen Menschen und vegetieren dahin. Schlafen ihren Rausch aus. Viele sind fertig, die meisten wissen nicht wohin. Das Elend trägt bei Hitze eine Winterjacke. Mit dicken Klamotten liegen die Menschen in der prallen Sonne.
Straßengeschichten von Dominik Bloh
Die Obdachlosen auf der Reeperbahn sitzen mit ihren Bechern am Straßenrand. Die Luxusautos parken daneben. Die Zuhälter sitzen draußen vor ihrem Stammladen. Das teure Designer-Shirt, Rolex am Handgelenk. Sie zeigen, was sie haben.
Die erste Kneipe. Musik aus einer Jukebox schallt laut auf die Straße. Der Muff fliegt mir aus der geöffneten Tür des Ladens in die Nase. Ich schaue in die dunkle Spelunke, die schon nachmittags voll ist.
Ich gehe durch die kleine Gasse Richtung Silbersack. Hier hängen die Dealer in großen Gruppen ab. Sie stehen auf beiden Seiten. Daneben liegt der Bolzplatz, wo die Kids bis zum Abend kicken.
Ich laufe im Schatten der Häuser entlang. „Jesus“ steht groß auf dem Schild vor mir. Im Hauseingang kauern auf den Stufen Menschen, die aussehen wie Zombies. Sie ziehen sich ihre Pfeife rein. Man kann die Chemie in der Luft schmecken. Ihr Leben ist vergiftet. Auf der anderen Straßenseite hüpfen zwei kleine Mädchen lachend in der Sonne. Licht und Schatten liegen so nah beieinander, denke ich mir.
Kinder schreien auf dem Schulhof. Eltern stehen vor dem Tor. Aus einem Klassenzimmer pumpt „Haftbefehl“ nach draußen: „Mache jetzt Umsatz. Habe die Kilos gebunkert“. Das hier ist die Grundschule. Nur 50 Meter weiter ist die Hafentreppe, der bekannteste Drogenumschlagplatz in der Stadt.
Was man alles auf einem Weg so sieht. Ich komme an bei den Palmen am Hafen. Der Park ist die Oase des Viertels. Hier kommen alle diese Menschen, denen ich begegnet bin, zusammen.
Für einen Moment sind die Kontraste vergessen.
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