ANKERSCHMERZ, Straßengeschichten: Die Rolex

Der Papst trägt Rolex. Der Dalai Lama auch. Allerdings verzichtet er auf das goldene Armband. Ich wollte auch immer eine Rolex haben. Eine der schlimmsten Sachen, die ich gemacht habe war es, meinem Opa seine goldene Armbanduhr zu klauen. Die hat er zur Rente von seiner Firma geschenkt bekommen.

Ich konnte mir nie eine Uhr leisten. Höchstens die süße „Candy Watch“ zum Abkauen an einer Schnur mit Uhranzeiger. Als ich in der Schule war, gab es immer wieder Uhrentrends. Erst Swatch G-Shock. Später Casio und dann kam die Armani in Keramik mit dem Ziffernblatt in Rose.

Je älter wir wurden, desto wichtiger war es, wie teuer die Uhren waren und wie breit sie um das Handgelenk saß. Wir standen am Nachmittag am Jungfernstieg vor den Schaufenstern und schauten in die Uhrenauslage.

Eine Rolex rechts, eine Rolex links

Ich trug Duplikate, die einfach nur billig nachgemacht waren. Schlechte Fälschungen. Trotzdem angegeben. Ich habe mir lange breite Ketten gekauft. Alles Plastik. Gefühlt habe ich mich allerdings, als hätte ich echtes Gold um den Hals. Der Anhänger war eine riesige Krone, verziert mit billigen Strasssteinen.

Wir Alle schauen nach oben. Die glitzernde Welt. Man will unten raus. Wenn man es geschafft hat, möchte man es zeigen.

Im Park unter den Palmen habe ich Bonez getroffen. Inzwischen ist er Deutschlands erfolgreichster Musiker. Er trug am linken und dem rechten Arm eine Rolex. Kapitalismus in seiner reinsten Form.

Die Politikerin Sawsan Chebli (SPD) hat ein Statement abgegeben. Sie wuchs mit einem dutzend Geschwistern auf. Sie schliefen zum Teil auf dem Boden und hatten wenig zu Essen. Das Geld fehlte ihr auch für Buntstifte. Man muss ihr also nichts über Armut erzählen. Sie wurde kritisiert, als ein Bild mit einer Rolex aufgetaucht ist. Sie hat einen Shitstorm geerntet, der so schlimm war, dass sie ihre Facebook-Seite abschaltete.

Wieso denn? Recht hat sie.

Vor kurzem war ich zum Feiern eingeladen. Wir haben uns um halb sechs Morgens auf dem Hamburger Berg getroffen. Die Party verlagerte sich in ein Privathaus. Plötzlich war ich wieder an einem dieser Orte, von dem ich dachte, nie hinzukommen. Mit dem Fahrstuhl steigt man aus und steht direkt in dem Loft mit Blick auf die Alster. Eine riesige Dachterrasse. Wir saßen draußen. Die erfolgreichen Menschen redeten darüber, was sie alles besitzen. Einer zeigt mir seine Rolex Daytona.

„Schön hübsch“, sagte er. Das ist halt Status. Es geht um nichts anderes. Ich betrachtete die Steine und die Krone. Für eine Sekunde überlegte ich, wie ich an diese Uhr kommen könnte. Es blitzen kurze Bilder von mir in Maske auf. Vor dem Tor, wenn er mal nach Hause kommt. So sehr ist dieses Verlangen in mir. Die Dämonen meldeten sich kurz und flüsterten mir solche Sache ins Ohr. Das bin aber nicht mehr ich.

Ich mache mir heute nichts mehr aus Uhren. Heute habe ich Blätter gesammelt. Ich mag die feurig roten am liebsten.

Unter Palmen aus Stahl, das Buch von Dominik.

Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Sein Buch über sein Leben heißt: „Unter Palmen aus Stahl“,  und wurde ein SPIEGEL-Bestseller. Überall im Handel und HIER im Onlineshop.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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