ANKERSCHMERZ, Straßengeschichten: Die Schatten der Idylle

Auf zur Lesereise in den Süden. Ich steige früh am Morgen in den Zug. Die nächsten Stunden zieht das Land an mir vorbei. Wir haben so viel Grün, so viele Wälder und verschiedene Bäume. Ganz im Norden das Meer. Flaches Land, in der Mitte wird es hügelig und im Süden kann man auf Berge stehen. Ich sehe kleine Städte, die in Tälern liegen, märchenhaft und mittelalterlich wirken sie auf mich.

Deutschland ist wunderschön.

„Grüß Gott, die Fahrscheine bitte“, sagt die Schaffnerin. Ich bin in Bayern. Ich steige aus. Menschen kommen mir in Trachten entgegen. Frauen tragen Dirndl und die Männer haben Lederhosen an. Ich sehe überall die weiß-blauen Maibäume. Das wird hier gefeiert. Ich kenne das anders. In Hamburg tragen am 1. Mai viele schwarz. Die Polizei steht in voller Kampfmontur auf den Straßen. Letztes Jahr habe ich noch brennende Barrikaden und Krawalle gesehen. Jetzt sitze ich auf dem Marktplatz und esse Käs-Spätzle.

Schatten der Idylle

Lesung und Gespräch dauern länger als sonst. Ich höre viele Geschichten, die überhaupt nicht zu dem passen, was ich bisher gesehen habe. Es gibt eben auch in der Idylle Schattenseiten. An dieser Schule sind Kids, die schwer erziehbar sind. Als ich in die Schule komme, sehe ich als Erstes zwei Mädchen, die sich schlagen.

Im gewohnten Umfeld: Dominik im Hamburger Hafen.

 

Bevor es zurückgeht, unternehme ich noch einen kleinen Ausflug in den Bayrischen Wald. Wir fahren Serpentinen hoch, neben einem Skilift.  Ich sehe freilaufende Hühner, Schafe, Kühe und Pferde. Ich streichle Tiere mit Hörnern, habe aber keine Ahnung, von welcher Art sie sind. Sie lieben jedenfalls Löwenzahn, davon bekommen sie nicht genug. Ich stehe sonst auf Hochhäusern und gucke in die Häuserschluchten der Stadt. Es tut gut, auf einem Berg zu stehen.

Ausflug in den Bayrischen Wald

Mit vielen schönen Bildern geht es wieder nach Hamburg.  Der Himmel zeigt seine ganze Pracht und ich schaue der Sonne beim Untergehen zu.

„Moin, die Fahrscheine bidde.“ Ich bin wieder Zuhause. Ich komme um halb zwölf am HBF an. Ich gehe noch zu einer Freundin. In einer Seitenstraße treffe ich Jungs, die ich kenne. Alle dealen. Kurz schnacken und weiter. Direkt um die Ecke treffe ich noch zwei Bekannte, auch diese beiden dealen.

Sie kommen wohl alle von der Arbeit, die Drogen sind gebunkert und die Tageseinnahmen gezählt. Ich verabschiede mich. Passt auf Euch auf! Da kommt lachend zurück: „Ich sehe dich dann wie jeden Samstag dann in der Mopo.“ Ich bin von ganzen Herzen froh drum.

Ich muss das nicht mehr machen: kein dealen mehr, kein klauen oder betteln.

 

Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Gerade erschien sein Buch darüber: „Unter Palmen aus Stahl“, überall im Handel und hier bei uns im Shop.

 

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