ANKERSCHMERZ, Straßengeschichten: Ein Sommer wie Gold
Ein paar graue Tage, ich schaue auf meine Arme. Da sind wieder die ersten kleinen Stellen, die anfangen zu jucken. Ich kratze wieder. Das erste Blut unter den Fingernägeln.
Manche beschweren sich über den heißen Sommer. Ich genieße ihn, jeden einzelnen Tag. Jeder, der mich kennt weiß, dass ich gerne oberkörperfrei durch die Gegend laufe. Die Sonne auf meiner Haut macht mich gesund. Ich genieße es, denn die Strahlen machen meine Haut gesund. Das ist eines der schönsten Gefühle, die ich empfinden kann.
Ich leide schon lange an Neurodermitis.
Früher konnte ich es „schneien“ lassen. Ich musste nur mit meiner Hand über meine Stirn oder Augen fassen und es rieselte herunter wie die Flocken in Schneekugeln. Ich fand es eklig. Ich konnte meine Haut auf meinem Pullover sehen. Das war nicht schön.
Das Kratzen war noch schlimmer. Dann nässt die Haut. Ich ließ die Stellen oft nicht in Ruhe, denn ich hatte nur Ruhe in dem Moment, an dem ich mich aufgekratzt habe. Es geht auch auf den Kopf, wenn man sich immer selber weh tut. Neurodermitis ist nicht nur eine Hautkrankheit. Jeder Betroffene versteht, wie ich den Satz meine.
Ich schämte mich.
Die trockene Haut spannte. Nach dem Duschen kam ich mit Schmerzen aus dem Bad, und nichts half dagegen. Kein sensitives Duschgel, keine spezielle Hautcreme. Ich habe alles versucht. Mein Körper war rot. Ich verbrachte die Sommer im Pullover oder versteckte die Arme in langen Shirts. Ich schaute vom Seitenbecken zu, wenn wie die anderen schwammen. Ich habe mich geschämt für meine kaputte Haut.
Wenn man ein Teenager ist, funktioniert vieles über das Aussehen. Neurodermitis hat man auf der Haut, aber die Krankheit geht auch auf den Kopf.
Warum muss ausgerechnet ich darunter leiden und nicht jemand anderes? Die Frage hatte ich manchmal im Kopf. Aber weil man so etwas niemand anderem wünscht, betete ich dafür, dass ich damit weiterleben würde. Aber bitte an anderen Stellen meines Körpers, bitte nicht an den Armen und im Gesicht. Ich würde es an den Beinen oder auf dem Rücken besser ertragen. An Stellen, die man nicht sofort sieht.
Ich lebe jetzt damit.
Jeder, der unter Hautproblemen leidet, weiß, wie sich das anfühlt. Ich möchte sagen: Wir sind schön. Oft habe ich diesen kleinen Teil meines Körpers genommen um mich zu bewerten, dabei bin ich so viel mehr. Ich bin schön, nur meine Arme sind eben manchmal verletzt. Ich lebe jetzt damit. Das macht meine Haut schon viel entspannter.
Heute geht es mir viel besser. Die Sommer sind gut. Ich liege im Freibad und bin für jeden Tag dankbar, an dem ich meine Arme sehe und alles gut ist. Die Sonne ist mir mehr wert als Gold.
Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Gerade erschien sein Buch darüber: „Unter Palmen aus Stahl“, überall im Handel und ohne Versandkosten hier bei uns im Shop.
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