ANKERSCHMERZ, Straßengeschichten: Eine Kolumne für Diane Kruger
Ich bin in Berlin, eine Lesung in einer Buchhandlung. In der Bahn lese ich im Fahrgastfernsehen von der Hollywoodschauspielerin Diane Kruger. Sie wird das Model der Kollektion eines Modekonzerns. Dann lese ich ihr Zitat: „Manchmal laufe ich aber auch rum wie ein Obdachloser“, sagt sie.
Ich kenne Diane Kruger nicht, doch ich zweifle, dass sie weiß, wie es ist, als Obdachloser rumzulaufen. Wie es sich anfühlt,morgens aus einem Schlafsack zu kriechen in mehreren Klamottenschichten. In Kleidern, die noch feucht sind und klamm. Darunter staut sich eine Dunstwolke aus gemischten Gerüchen. Die ersten Sonnenstrahlen am Morgen können einen schnell ins Schwitzen bringen. Es wird heiß unter vielen Lagen Sachen.
Eine Kolumne für Diane Kruger
Ich weiß nicht, ob sie das Gefühl kennt, die gleichen Klamotten zu tragen wie gestern, vorgestern und vorvorgestern. Kleidung, die man nie auszieht. Die anfängt zu stinken und schmutzig ist. Ich denke, sie weiß nicht, wie es ist, keine Möglichkeit zu haben, mal eben die Sachen zu wechseln oder zu waschen. Das Geld fehlt oft und am Ende wird daran gespart, bevor nicht das Loch im Bauch gestopft ist.
Ich weiß nicht, ob sie das Gefühl kennt, in der immergleichen grauen Jogginghose unterwegs zu sein. Nicht mal Socken in den Schuhen zu tragen oder barfuß durch die Gegend zu latschen.
Stumpf und unbedacht
Ich habe damals auf der Straße die Krätze bekommen. Meine Haut juckte. Manche Stellen kratzte ich blutig. Das geht ganz leicht mit viel zu langen Fingernägeln, unter denen schwarzer Dreck lagert. Ich weiß nicht, ob Diane Kruger das meinte, wenn sie sagt, sie läuft ab und zu rum „wie ein Obdachloser.“
Ich finde diese Aussage sehr stumpf und unbedacht.
Auf der Straße war die Kälte eines der größten Probleme für mich. Sie frisst sich in den Kopf. Man will immer nur ins Warme fliehen. Diesen Kampf führe ich nur mit mir selber. Den Hunger sieht auch niemand um mich herum.
„Ich laufe rum wie ein Obdachloser“
Das äußere Erscheinungsbild aber ist das erste Unterscheidungsmerkmal. Dann ist es kein Kampf mehr mit mir alleine, sondern auch mit allen Menschen um mich herum. In einer vollen Bahn zum Beispiel. Ich stinke und meine Klamotten sind dreckig. Ich schäme mich so, dass ich rot werde und anfange stark zu schwitzen. Ich fühle mich nicht wohl in meiner Haut. Ich stelle mir die schlimmsten Sachen vor, die mein Gegenüber von mir denkt.
Ich bin mir sicher: Diane Kruger kann sich aussuchen, wann sie sich wäscht oder was sie trägt. Ich weiß eines: Wie sie redet, wird sich das Bild in den Köpfen nicht ändern. „Obdachlos“ ist gleich verwahrloster Penner. Viele Menschen tun alles, um es nicht zu sein, aber man wird dreckig. Die Straße lässt nichts anderes zu.
Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Gerade erschien sein Buch darüber: „Unter Palmen aus Stahl“, überall im Handel und versandkostenfrei hier im Online Shop.
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