ANKERSCHMERZ, Straßengeschichten: Gewalt der Straße

Niemand weiß, wie viele Menschen auf den Straßen zu Opfer von Gewalt werden. Es gibt keine Statistik für die Menschen ganz unten. Jeder weiß aber: die Gewalt nimmt zu. Schon 14 Tote sind es in diesem Jahr. In Delmenhorst wurde eine obdachlose Frau zu Tode misshandelt. In München machten zwei Jungs erst ein Selfie mit ihrem Opfer, um danach dessen Tüten in Brand zu stecken.

Auf der Straße ist Gewalt Alltag. Ich musste immer vorbereitet sein. Richtigen Schlaf gab es nicht. Ich war immer mit einem Auge wach. Ich nahm das leisesten Geräusch war ich, lauschte und versuchte zu spüren, ob sich eine Gefahr nähert. Andere Obdachlose schlafen in Gruppen oder einem Stammplatz, um sich vor Gewalt zu schützen. Ich nicht. Ich machte alleine Platte.

Gewalt der Straße

Meinen Schlafsack zog ich nie ganz zu, höchstens bis zur Brust, damit ich schneller reagieren konnte. Schlafsäcke fangen schnell Feuer. Deshalb schlief ich nur mit geöffnetem Reißverschluss. Ich hielt Feuerzeuge in den Faustballen, um mich im Notfall besser wehren zu können. Mit dem Körper lag ich seitlich zum Eingang. Einen Arm legte ich um den Kopf, um ihn vor möglichen Tritten oder Schlägen zu schützen. Neben mir lag ein Messer, damit ich mich im schlimmsten Fall aus dem Zelt rausschneiden konnte.

In der Innenstadt machten sich junge Männer, wenn die Klubs schlossen, oft einen Scherz daraus gemacht, auf Obdachlose zu urinieren. In den Augen solcher Leute sind Obdachlose „Untermenschen“. Mit denen kann man machen, was man will. Es geht dabei um Machtdemonstration. Oft ist die Gewalt gegen Obdachlose hemmungslos und erniedrigend.

„Pennerklatschen“ als Mutprobe

Ich war einige Male in Schlägereien verwickelt, denn ich mische mich ein. Ich begegne dabei zwei Sorten Schlägern. Zum einen junge Menschen, bei denen der Mix aus Alkohol und Gruppendynamik gefährlich wird. Für sie ist „Pennerklatschen“ eine Mutprobe. Wenn einer anfängt, dann machen die anderen mit. Zum anderen sind da die Menschen, die schon äußerlich zeigen, dass sie mehr haben. Sie halten sich für etwas Besseres und verhalten sich besonders erniedrigend.

Ich wünsche mir: Schauen wir nicht weg. Hören wir nicht weg. Gewalt beginnt bereits mit Worten. Das Wort „Penner“ zum Beispiel, ich bin mit diesem Wort aufgewachsen, es wird verharmlost, dabei prägt es stets das Bild eines Menschen. Zeigen wir gewissen Leuten durch unser Handeln, dass sie falsch liegen.

 

Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Gerade erschien sein Buch darüber: Unter Palmen aus Stahl. Überall im Buchhandel und hier im Online Shop.

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