Ankerschmerz, Straßengeschichten: Haftbefehl
Jeden Samstag erscheint in der Hamburger Morgenpost eine Kolumne unseres Ankerherz-Autoren Dominik Bloh. „Auf den Straßen von Hamburg“ ist ein Blick auf die andere Seite der Stadt. Diesmal geht es um ein akutes Problem: der Haftbefehl.
Es ist Samstag. Ich wache von der Türklingel auf. Wie immer ist der erste Instinkt: liegen bleiben. Es klingelt auch bei den Nachbarn. Ich gehe zur Tür und lausche ins Treppenhaus. Jemand hat aufgemacht. Ich höre schwere Schuhe und das klimpernde Geräusch von metallischen Gegenständen, die an Gürteln hängen.
Das klingt nicht gut.
Sie sind unten bei Uwe. Soll ich mich verstecken? Einfach nicht aufmachen? Es klingelt an meiner Tür. Ich komm hier nicht mehr raus. Da hilft nur die Flucht nach vorne. Ich öffne und wünsche einen guten Morgen. Zwei Beamtinnen stehen vor mir. Eine wohl erfahrene Polizistin und eine junge, vermutlich in der Ausbildung.
„Wir haben einen Haftbefehl“
Sie wünschen einen „Guten Morgen“ zurück. Der Blick in ihren Gesichtern sagt jedoch etwas anderes. „Dürfen wir reinkommen?“ Die Beamtin holt einen Brief heraus. „Ich habe hier einen Haftbefehl. Sie sind zu einer Geldstrafe verurteilt worden, die Sie nicht bezahlt haben. Sollten sie nicht sofort 682 € zahlen können, muss ich Sie verhaften lassen.“
„So viel Geld habe ich nicht“, antworte ich.
„Dann muss ich jetzt die Kollegen rufen. Solange können sie versuchen, jemand zu erreichen.“
Eine Freundin meldet sich als Erstes zurück. Ich kann ihr noch die Wache sagen, auf die sie mich bringen wollen. Die anderen Beamten kommen. Frauen dürfen bei Männern keine Leibesvisitation machen. Jetzt stehen vier Polizisten in meinem kleinen Zimmer. Ich soll alle Schnüre abmachen, aus meinen Schuhen und dem Hoody, den ich trage. Die Sachen, die ich mitnehmen möchte, soll ich dem Kollegen geben. Die packt er in eine Tüte.
Das gibt Treppenhaustratsch
Meine Nachbarn sind grade auf dem Weg zum Bäcker. Ich steige hinten in den Streifenwagen ein. Zwei Autos sind genau vor der Einfahrt geparkt. Das gibt Treppenhaustratsch.
Auf der Wache geht es in die Zelle. Es ist still. Alles ist festgeschraubt und hier gibt es weder Knöpfe noch Knäufe. Alles ist glatt. Der blaue Boden. Könnte ich den länger angucken, ohne aggressiv zu werden? Zu 40 Tagessätzen bin ich verurteilt worden wegen Schwarzfahrens. Eine Altlast aus meiner Zeit auf der Straße. Schwarzfahren ist eine Straftat: Erschleichen einer Dienstleistung. 40 Tage müsste ich hier sitzen, wenn niemand kommt.
Trist und trostlos ist es hier. Zum Glück komm ich gleich wieder raus. Ich sammele nur ein paar Eindrücke und bin weg. Es ist schon eine Bestrafung, für eine halbe Stunde hier zu sein.
„Sie können nun gehen!“
Ich treffe auf Karin. Einer der besten Menschen in meinem Leben. Sie hat mich mal gefragt, was sich wirklich für mich verändert hat in den letzten Jahren. Die Antwort ist einfach: Es sind meine Freunde.
Was für ein Vormittag. Wir gehen erst einmal Frühstücken.
Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Sein Buch über sein Leben heißt: „Unter Palmen aus Stahl“, und wurde ein SPIEGEL-Bestseller. Überall im Handel und bei uns im Online Buchladen.
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