ANKERSCHMERZ, Straßengeschichten: Hitze und Gewalt
In dieser Woche habe ich in Hamburg einige blutende Gesichter gesehen. Die Hitze macht Menschen aggressiv. Gewalt ist auf der Straße Alltag. Besonders obdachlose Menschen sind allen äußeren Einflüssen ausgesetzt. Sie haben keinen Schutzraum. Keine Wohnung, in der sie die Tür hinter sich zuziehen können.
Es ist ein Zustand permanenter Lebensgefahr.
Vor ein paar Tagen lagen zwei Menschen bei ihrer Platte an einem S-Bahnhof in Berlin. Laut Augenzeugen kam ein Mann mit einem Benzinkanister vorbei. Er ließ das Benzin über die beiden Männer laufen und zündete sie. Beide Männer haben überlebt, da ein Mann aus einem nahe gelegenen Döner-Imbiss schnell mit einem Feuerlöscher reagierte.
Es ist also wieder einmal passiert.
Jedes Mal empören sich die Menschen. Kaum ein Blog oder Kolumne, die ich schreibe, wird häufiger gelesen, als jene über Gewalt auf den Straßen. Ich weiß nicht, wie viele Texte ich nun schon zu diesem Thema geschrieben habe.
HITZE UND GEWALT
Gewalt ist Alltag. Sie nimmt zu. Was in den Medien zu lesen, zu sehen und zu hören ist, ist der kleinste Teil. Ich bin mir sicher, dass auch die Statistik nur einen kleinen Teil darüber aussagen kann, wie viele obdachlose Menschen zu Opfern werden.
Denn die Realität ist: Viele Menschen trauen sich nicht, zur Polizei zu gehen. Andere gehen hin und kommen nicht sehr weit. Am Ende ist man in vielen verschiedenen Augen halt doch nur ein Penner.
Vor allem reden wir oft über Tötungsdelikte oder Mordversuche. Wie viele Körperverletzungen, tätliche Angriffe wirklich stattfinden? Was ist mit Vergewaltigungen? Die Dunkelziffer solcher Gewalttaten liegt viel höher als offiziell angegeben.
GEWALT HAT VIELE FACETTEN
Die eine Art von Gewalt ist die der Obdachlosen untereinander. Ich empfand es immerhin als „ehrlich“, wenn ich mit jemand anderen um meinen Schlafsack kämpfen musste. Mir war klar: Es geht bei uns ums Überleben. Die Gewalt entsteht durch die Not der Menschen.
Andere Gewalt entsteht einfach nur durch Hass. Sie sind menschenverachtend, oft sadistisch. Mit Menschen auf der Straße kann man alles machen. Die Täter wissen genau, welche Opfer sie sich aussuchen. Viele können sich nicht mehr wehren, nicht gegen die Angreifer und oft ebenso wenig mit rechtlichen Mitteln. Sie sind ein einfaches Ziel.
PERMANENTER ÜBERLEBENSKAMPF
Nicht jeder Obdachlose hat ein Handy. Dabei ist das so wichtig. Selbst ohne Sim-Karte kann man immer den Notruf wählen. Also: Sollte jemand noch ein altes Telefon rumliegen haben, dann gebt es an jemanden aus der Nachbarschaft!
Wie stark eine Gesellschaft ist, das zeigt sich um Umgang mit den Schwachen. Obdachlose sind ein Teil unserer Stadt. Passen wir auf unsere Nachbarn auf.
Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Gerade erschien sein Buch darüber: „Unter Palmen aus Stahl“, überall im Handel und hier bei uns im Shop.
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