ANKERSCHMERZ, Straßengeschichten: Ich habe ein Konto

Mein erstes Konto bekam ich, als ich in einer betreuten Wohngruppe lebte. Das Erste, was ich mit meinen Betreuern erledigte, war das Ausfüllen meines Antrags für Arbeitslosengeld. Schließlich möchte der Träger auch, dass die Miete für das Zimmer gezahlt wird. Wir gingen auch gemeinsam zur Bank. Damals war ich 16.

Was ein Konto ist oder wie man mit Geld umgeht, zeigte mir kein Betreuer. Das habe ich auch nicht in der Schule gelernt. Dafür kann ich immer noch den Satz des Pythagoras auswendig. Ich glaube, ich musste ihn noch nie anwenden.

Mit 18 Jahren musste ich dann wieder ausziehen. Die Bank schickte mir einen Brief zum Geburtstag, sie ließen viele Grüße da. Außerdem lag eine Einladung zu einem Gespräch dabei. Mein erster Termin, zu dem ich ohne Begleitung erschien. Der Bankkaufmann war sehr nett. Er hat mir etwas zu Trinken gebracht und gefragt, wie es mir geht und was ich so mache. Ich dachte: ‚Der Mann meint es gut mit mir’. Am Ende unterschrieb ich, was er mir vorhielt. Ich hatte eine Versicherung abgeschlossen. Dazu war ich Bausparer und sorgte für die Rente vor.

Arbeitslos und Bausparer

Ich weiß nicht, ob der Mitarbeiter für abgeschlossene Verträge eine Provision erhält, aber mir haben all diese Sachen nichts gebracht. Außer Schulden. Ich war ein Schüler, der von 300 Euro Arbeitslosengeld2 lebte. Ich habe mit dem Mann von der Bank nicht darüber geredet, wie so ein Konto funktioniert oder wie ich Überweisungen mache. Ich bekam zusätzlich einen Dispo-Kredit eingerichtet und eine Kreditkarte nach Hause geschickt. Ich war jetzt erwachsen.

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Ich hatte keine Ahnung, was ein Dispo ist. Ich ging zum Automaten und hob Geld ab. Solange, bis nichts mehr rauskam. Dann benutzte ich die glänzende Karte. Ich wurde zwar stutzig, wenn mich Leute komisch anguckten, weil ich meinen zwei Euro Einkauf mit der Kredit Karte bezahlte. Gesagt hat aber keiner etwas.

Irgendwann kam erst die Bankkarte nicht mehr raus. Dann wurde die Kreditkarte eingezogen. Das ist jetzt 10 Jahre her. Seitdem habe ich keine Karten mehr bekommen.

Die Mahnbriefe kamen

Im selben Jahr unterschrieb ich viele Verträge. Für ein Handy. Für eine Wohnung, in der es nichts gab, nicht einmal einen Boden oder Strom. Ich kaufte bei Versandhäusern auf Kredit Möbel und Haushaltssachen. 10 Euro im Monat, das klang immer nach nichts. Am Ende konnte ich die Rechnungen nicht zahlen. Die Mahnbriefe kamen. Mein Konto wurde gepfändet.

Jeden Monat wartete ich im Gebäude des Amtsgerichts auf meinen Antrag auf Freigabe des unpfändbaren Einkommens. Mit meinen Leistungen lag ich unterhalb der Grenze und hatte sieben Tage nach Pfändung Zeit, das Geld zurückzuholen. Am Anfang des Monats zogen Gläubiger das Geld ein. Ich stellte den Antrag beim Amtsgericht. Solange war mein Konto gesperrt und mit dem bewilligten Antrag wieder freigegeben. So wiederholte es sich. Ich rannte ständig von Amt zu Bank zum Gericht. Das Wort Schuldenberater hab ich bis dahin noch nie gehört.

Bis zum Hals in den Miesen

18 Jahre und viele Verträge unterschrieben. Ich zahl‘ mein Handy in Raten oder lass‘ die Möbel leasen. Bis zum Hals in den Miesen. Gelbe Briefe bleiben ungeöffnet liegen. Am Ende die letzten wertvollen Sachen durch die Glaswand im Pfandleihhaus schieben. Außer Schulden nix geblieben.

Im Jahr 2010 wurde das Pfändungsschutzkonto eingeführt. Ich konnte also wieder über mein Konto verfügen ohne dafür Beschlüsse vom Amtsgericht anzufordern. Der Freibetrag liegt bei 1045 Euro. Alles was darunter lag durfte ich behalten, der Rest ging an die Gläubiger.

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Kein Geld mehr – es blieb nur die Straße

Ich lebte immer öfter und länger auf der Straße. Kein Geld vom Amt. Ich lebte von der Hand in den Mund und so arbeitete ich auch. Es gab einfach keine Umsätze mehr und das deckte sich nicht mit der Kosten-Nutzen Rechnung meiner Bank. Sie sperrte mein Konto. Zusätzlich gab es eine Frist von sechs Monaten, in der ich nirgendwo ein Konto hätte beantragen können.

Die Frist verstrich. Doch statt mir das Konto wieder zugänglich zu machen, hat es die Bank gelöscht. Ich hatte jetzt gar kein Konto mehr.

Inzwischen gibt es das „Jedermann-Konto“. Jeder hat das Recht auf ein Girokonto. Das ist gesetzlich vorgeschrieben. Trotzdem haben die Banken mir die letzten Jahre verweigert, ein Konto zu eröffnen. Die Bank hat das Recht, mich ohne Angabe von Gründen abzulehnen. Das taten auch alle Banken.

Doch jetzt ist es geschafft. Seit gestern bin ich wieder Kontoinhaber. Mit einem Arbeitsvertrag, einer Lohnabrechungen und anderen Unterlagen konnte ich die Bank überzeugen, ein Basiskonto für mich zu eröffnen.

Ich bekomme eine Karte. Ich freue mich auf das Geräusch, wenn der Automat anfängt zu rattern und das Geld ausspuckt. Ich bin glücklich, meine Finanzen regeln zu können. Das war ein ganz wichtiger Schritt.

 

DOMINIK BLOH, JAHRGANG 1988. SEIT ELF JAHREN LEBTE ER IMMER WIEDER AUF DEN STRASSEN VON HAMBURG. IM ANKERHERZ BLOG „ANKERSCHMERZ“ ERZÄHLT ER AUS SEINEM LEBEN. UNTERSTÜTZT WIRD DOMINIK VON DER STIFTUNG “DEKEYSER & FRIENDS”, DIE WELTWEIT EIGENE UND BEREITS BESTEHENDE PROJEKTE FINANZIELL, MIT IDEEN UND TATKRAFT UNTERSTÜTZT UND INITIIERT.

 

 

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