ANKERSCHMERZ, Straßengeschichten: Im Jugendknast
Jeden Samstag schreibt Ankerherz-Autor eine Kolumne in der Hamburger Morgenpost. Diesmal ist er zu Besuch im Jugendknast.
Ein Gebäude mitten im Nirgendwo. Hohe Zäune. Stacheldraht. Viele Türen und Sicherheitsschleusen. Alles wird notiert. Jugendarrest-Anstalt. Ich treffe zwölf Jugendliche zwischen 16 und 21 Jahren. Sie sitzen in Einzelzellen. Jeden Tag auf Aufschluss warten, drei Mahlzeiten am Tag, einer Stunde Freizeit.
Jetzt wurde eine kleine Bibliothek eingerichtet und ich eingeladen vorbeizukommen, um aus meinem Buch zu lesen.
Das Personal war nicht sicher, ob alle kommen würden. Zwei von ihnen reden kaum und wären sowieso zu cool für alles. Als ich in den Raum komme, sind alle da.
Jeder weiß, dass er einen Fehler gemacht hat
Ich schaue in die Runde und weiß sofort, wer die zwei sind. Ich lache sie an, reiche jedem die Hand. Sie nehmen meine Geste an. Selbst der Junge, der ganz in sich und seine dicke Jacke zurückgezogen ist.
Ich lese zwei Kapitel und aus der Zeit in ihrem Alter. Sie sind alle ruhig, hören wirklich zu. Wir reden über Gewalt in der Kindheit, sexuellen Missbrauch, Drogen. Über Familie, Freundschaft und Liebe. Ich sehe ihnen an, dass es ihnen weh tut. In der Situation, in der die Jungs stecken, macht es keinen Sinn mehr, etwas schön zu reden.
Einer erzählt von seinem Sohn. Mit 16 Jahren ist er Papa geworden. Er will für seinen Sohn da sein, sagt er, und man spürt, wie ernst er das meint. Nie will er werden wie sein Vater. Der schießt sich das Heroin in die Venen. Manchmal sieht er ihn am Bahnhof. Einmal hat er ihn angeschrien. Da haben die “Freunde“ von seinem Dad ihm aufs Maul gehauen.
Seine Freunde sind irgendwie auch falsch. Die melden sich nur, wenn sie wissen, heute ist das Kindergeld gekommen. „Dann rufen die schon morgens an, wenn ich noch schlafe und fragen, ob man chillen will.“ Das sind diese Sätze, bei denen ich im Raum in jedem Gesicht pure Enttäuschung sehe.
Jeder fühlt sich schuldig. Jeder weiß, dass er Fehler gemacht hat.
Ich erzähle, was für mich Freundschaft ausmacht. Wenn man nur miteinander abhängen kann, wenn man Drogen nimmt, sich vollsaufen muss oder krumme Dinger drehen, ist das keine Freundschaft. Das ist nur ein falsches Umfeld. Am Ende haben alle mehr Angst vor dem Alleinsein als vor schlechter Gesellschaft.
Eine Lesung im Jugendknast
Sie erzählen, wie sie hier reingekommen sind. Jeder würde jemandem die Tür aufhalten, einer alten Frau helfen, in Not einschreiten. Alle nicken. Wir müssen uns fragen, warum wir irgendwann aufhören gut zu sein. Wo ziehen wir eine Grenze und warum überschreiten wir sie dann? Das sind die Dinge, die ich mir beantworten musste, damit sich etwas verändert.
Ich sehe keine Kriminellen, ich sehe junge Heranwachsende, die noch absolut nicht wissen, wer sie sind oder was sie hier sollen. Dafür mussten sie aber schon so viel durchmachen.
Am meisten spricht der, von dem vorher gesagt wurde, er hätte eher eine Anti-Haltung. Er sitzt mir erst gegenüber, später genau neben mir. Er holt tief Luft. Dann kriegt er grade so den Satz heraus. „Meine Mama ist.. ja.. he.. Junkie. Und mein Vater seit Jahren in der Psychiatrie.“ Morgen wird er entlassen. Dann weiß er nicht wohin. Er hat eine Pflegefamilie, aber so richtig dahin zurück will er nicht. Vielleicht geht es auch wieder raus. Das ist auch eine Erfahrung, die wir teilen. Wir alle haben schon mal draußen geschlafen. Egal ob für eine Woche oder ein halbes Jahr. Jeder weiß wie es ist, wenn alle sich auf den Heimweg machen und man einfach da bleibt. Diese Momente in denen man denkt: „Ich bin ganz alleine“.
Ich frage sie nach Ihren Plänen. Einer sagt, er muss direkt danach Sozialstunden abreißen. Sie reden darüber, was sie machen müssen. Keiner spricht davon, was er tun will.
Keiner hat einen Plan.
Sie sind gefangen. Der Horizont ist so begrenzt. Die Kids kommen gar nicht darauf, weiterzudenken. Wir reden über Abschlüsse. Keiner hat einen Schulabschluss. Ich lache und sage: „Na also. Nun haben wir einen Plan.“
Lust auf Lernen haben die Jungs. Seitdem es die Bibliothek gibt, verschlingen sie Bücher. „Ich hätte nie gedacht, dass Lesen so geil ist. Man kann sich alles einfach so vorstellen.“ Unvorstellbar, dass ein 17 Jähriger Lesen entdeckt. Andere haben die Phantasie schon mit den ersten Märchen geschenkt bekommen.
Als ich mich nach drei Stunden verabschiede, schenkt mir einer der Jungs sein Knast-Tagebuch. „Ich werde anfangen zu schreiben, also ein Tagebuch oder so. Es ist wirklich entspannt zu schreiben.“
Was für ein besonderes Geschenk.
Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Sein Buch über sein Leben heißt: „Unter Palmen aus Stahl“, und wurde ein SPIEGEL-Bestseller. Überall im Handel und HIER im Online Shop.
0 comments