ANKERSCHMERZ, Straßengeschichten: Im Winternotprogramm

Meine letzte Nacht im Winternotprogramm ist bald zwei Jahre her. So läuft es ab: Mit hunderten steht man im Pulk und wartet, bis der Bauzaun geöffnet wird. Zuerst geht es zur Anmeldung, dann in den Container. Vierzehn Quadratmeter, darin stehen vier Etagenbetten aus Metall.

Mit sieben fremden Männern in einem Raum. Ich gibt Bettzeug, ein kleines Handtuch und ein Becherchen mit Duschgel. Den Sanitärcontainer teilt sich die Belegschaft einer ganzen Etage. Es gibt ein Fenster im Container. Es bleibt zu. Die Heizung ist auf die höchste Stufe gedreht. Die feuchten Sachen liegen darauf. Der Raum beginnt zu stinken, wir alle müffeln.

Winternotprogramm: besser als die Kälte

Es gibt keinen Schrank oder Spind. Meine Tasche lege ich unter meine Beine. Darin war mein letzte Habe, alles was ich hatte. Mit dem Körper liege auf der Seite. Mit einem Auge bin ich wach. Keiner weiß, was passiert. Geklaut wird bei einfachen Gelegenheiten. Einer raucht Kette, einer läuft ständig raus und wieder rein. Ein anderer schnarcht, während der unter ihm schreit. Das Winternotprogramm bietet nur das Minimum. Schlaf gibt es auch hier nicht. Trotzdem ist das Winternotprogramm oft ausgelastet.

Die Kälte ist noch schwerer zu ertragen.

Im Winternotprogramm.

 

Der Erfrierungsschutz der Stadt. Er ist einzig dazu da, dass Menschen nicht in unseren Hauseingängen erfrieren und wir morgens auf dem Weg zur Arbeit über Tote steigen. Vor einem Jahr habe ich in meinem Blog über Sorinel geschrieben. Er war der erste Kältetote des vergangenen Winters. Man hat ihn unter der Brücke am Rödingsmarkt gefunden. Direkt an der Bahnstation, an der Massen zu ihren Büros laufen. Menschen sterben in unserer Stadt wegen der Kälte.

Winternotprogramm ausweiten aufs ganze Jahr!

Seit Jahren werden Forderungen ignoriert, das Notprogramms ganzjährig anzubieten. Es ist an der Zeit, in einen Dialog zu treten. So kann es nicht weiter gehen. Menschen aus Osteuropa wird der Einlass verweigert. Bei diesen Menschen scheint es egal zu sein, was mit ihnen passiert, wie im Falle von Sorinel. Sie seien „freiwillig obdachlos“, heißt es. Ihnen wird jede Hilfe verwehrt. Das sind die Menschen, die im absoluten Elend leben.

Für die Menschen, die ein Bett in der Unterkunft ergattert haben, geht es morgens wieder raus, um 8:30 Uhr. Tagsüber müssen sie schauen, wo sie bleiben. Kälte und Nässe verziehen sich nicht tagsüber. Die Menschen werden krank. Auf der Straße ist man permanent damit beschäftigt Grundbedürfnisse zu befriedigen. Die einzigen Konstanten sind: Kälte, Hunger, Gewalt, Geld und Suche nach einem Schlafplatz. Heute hier und morgen da. Von der Hand in den Mund. Ohne Ziel und ohne Plan.

Überleben ist kein Leben.

Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Gerade erschien sein Buch darüber: „Unter Palmen aus Stahl“, überall im Handel und hier bei uns im Shop.

 

 

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