ANKERSCHMERZ, Straßengeschichten: Krank auf der Straße

Ankerherz-Autor Dominik Bloh schreibt an jedem Samstag eine Kolumne für die Hamburger Morgenpost. „Auf den Straßen von Hamburg“ wirft einen anderen Blick auf die Stadt. In dieser Folge geht es um das Thema: Krank auf der Straße.

Manchmal lebe ich wieder wie auf der Straße. Graue Jogginghose schon seit Tagen. Keine Socken in den Schuhen tragen. Barfuß durch die Gegend latschen. Die Straße bleibt in meinem Kopf. Keine Ahnung, wie lange ich schon die graue Jogginghose anhabe. Ich habe nicht gewaschen. Von Sonntag bis Dienstag bin ich ohne Socken in den Schuhen gelaufen.

Ich hatte Interviews und Meetings für mein Duschbus-Projektund saß barfuß in den Terminen. Ich habe immer nur an früher gedacht. Dass sich manche Sachen nicht geändert habenIch laufe und spüre, wie meine Beine wirklich kalt werden. Es zieht und schmerzt. Ich freue mich auf jede kurze Fahrt mit dem Bus oder der Bahn, um ein bisschen Wärme zu finden. Wie früher eben.

Krank auf der Straße

Seit zwei Tagen liege ich komplett flach. Kopf und Gliederschmerzen wie seit langen nicht mehr. Krank sein, daskennt jeder von uns. Auf der Straße ist man ständig krank. Das ist ein Dauerzustand. Am Montag sprach ich im Altonaer Rathaus vor dem Sozialausschuss. Es ging unter anderem um das Winternotprogramm. Ich bekam Redezeit und habe von einem Abend berichtet an dem ich dachte, ich müsse sterben.

Noch nie zuvor hatte ich mich so mies gefühlt. Es war genau dort, in einem der 14 Quadratmeter Container, die ich mir mit sieben anderen Menschen teilte. Ein Fenster. Das Wetter bleibt draußen. Das Fenster zu. Die Heizung steht auf volle Pulle. Unsere feuchten, klammen Klamotten werden aufgehängt. Hier entsteht nicht nur ein besonderes Aroma innerhalb kürzester Zeit. Genau so schnell verbreiten sich Bakterien und Viren.

Wer auf Platte lebt, ist immer krank

Nach ein paar Tagen ging gar nichts mehr. Ich erinnere mich an gar nicht mehr so viel. Ich habe es noch in den Sanitärcontainer geschafft. Da kam alles aus mir raus. Kalter Schweiß. Kurzes Flimmern. Weg.

 

Ich bin in meiner Kotze aufgewacht. Lag da in meinen Exkrementen und zu allem Übel war ich auch noch vollgepisst. Es ging mir noch nie so dreckig. Menschen auf der Straße haben immer mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Viele werden zu chronischen Erkrankungen. In Hamburg wird ein Obdachloser im Durchschnitt 49. Das Leben auf der Straße ist hart und kurz.

Lebenserwartung: 49 Jahre

Heute habe ich eine Wohnung. Eine Freundin hat mich von einem Termin nach Hause gefahren, weil ich schon so fertig war. Den restlichen Mittwoch verbrachte ich im Bett unter der Decke.  Ich war nur einmal am Abend draußen, um Wasser und Mandarinen einzukaufen und eine Gemüsesuppe beim Asiaten mitzunehmen.

Als ich wieder im Bett lag habe ich gedacht, dass es so nie gelaufen wäre früher. Der Rat, den ich am häufigsten bekomme, wenn ich krank bin: Leg dich hin. Ruh dich aus. Das sei das wichtigste.

Menschen auf der Straße können das nicht. 

Unter Palmen aus Stahl, das Buch von Dominik.

Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Sein Buch über sein Leben heißt: „Unter Palmen aus Stahl“,  und wurde ein SPIEGEL-Bestseller. Überall im Handel und im Online Shop von Ankerherz.

 

 

 

 

 

 

 

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