ANKERSCHMERZ, Straßengeschichten: Schlaflosigkeit

Ich schlafe kaum. Ich bin immer müde. Mit den ersten Schlägen kam die Schlaflosigkeit.

Entweder habe ich gewartet, bis ich die Dielen knarren hörte und wusste: Er kommt jetzt nach oben auf meinen Dachboden. Ist niemand gekommen, habe ich mir vor Angst ins Bett gemacht. Die ganze Nacht blieb ich auf, zog die Sachen aus und legte mich halbgekrümmt  um den Fleck. Ich wollte nicht runter gehen und bescheid sagen, dass es wieder passiert ist.

Ich wollte niemanden verärgern.

Habe ich bei meinen Großeltern übernachtet, dann sind sie einfach in der Nacht zu mir gekommen. Meine Oma hat das Bett gemacht, mein Opa mir einen neuen Schlafanzug angezogen. Bei ihnen konnte ich gut schlafen.

In Hamburg lebten wir nur noch zu Dritt. Mein Stiefvater war raus. Meine Mutter war viel unterwegs. Sie hat gefeiert und getrunken. Ich blieb auf, bis sie wieder nach Hause gekommen ist. Ich habe mir immer Sorgen um sie gemacht. Für mich war sie ein großes Mädchen, das ich beschützen sollte.

Oft ist sie einfach nur noch durch die Tür gefallen. Ich habe sie hochgehoben und ins Bett getragen. Manchmal hat sie gekotzt. Ihr Erbrochenes stank nach Rotwein. Mit einem Eimer und Lappen habe ich würgend alles aufgewischt. Ich habe den Eimer ausgespült, ihn mit einem Glas Wasser neben ihr Bett gestellt. Ich konnte dann aber immer noch nicht schlafen gehen.

 

Mein kleiner Bruder würde bald aufstehen und musste für die Schule fertig gemacht werden. Also bin ich aufgeblieben, bis er aus seinem Zimmer kam. Davor konnte ich sein Schulbrot fertig machen und ihm Frühstück hinstellen. Sobald ich ihn losgeschickt hatte, schmiss ich meine Mappen in den Rucksack, schaute noch einmal nach meiner Mutter und ging auch los zur Schule.

Oft bin ich zu spät gekommen, dann gab es ordentlich Ärger. Während des Unterrichts war ich müde. Die Lehrer haben vermutet, dass ich kiffe.

„Der ist immer müde im Unterricht.“ „Der hat doch auch so rote Augen.“ Die Schule veranlasste sogar einen Drogentest. Das Ergebnis. Negativ!

Dass es an der Schlaflosigkeit lag, wollte keiner glauben.

Darauf folgte die erste Zeit auf der Straße. Egal ob mit sechzehn oder mit sechzig: Auf der Straße wird man keinen erholsamen Schlaf finden. Klar, man schläft irgendwann ein. Vor allem im Sommer kann man in Parks am Tage ein sicheres Nickerchen machen. Doch die Straße bedeutet Rastlosigkeit. Man muss auf alles vorbereitet sein. Ich blieb mit einem Auge wach.

Ich glaube, viele Menschen haben Schlafprobleme. Es muss an der inneren Unruhe liegen. Ich bin die letzten Tage von morgens bis spät am Abend unterwegs. Es ist heiß. Am Abend mache ich noch Sport. Dann komme ich nach Hause und bleibe bis zum nächsten Morgen wach, ohne eine Sekunde zu schlafen.

Ich habe schon viel probiert. Schäfchen zählen, sich verausgaben, nach 18 Uhr nichts mehr essen, Baldrian und andere Mittel. Nichts hat geholfen. Ich bin ein Nachtmensch, vielleicht nehme ich das auch einfach so an.

Unter Palmen aus Stahl, das Buch von Dominik.

Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Gerade erschien sein Buch darüber: „Unter Palmen aus Stahl“, überall im Handel und hier bei uns im Online Shop.

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