ANKERSCHMERZ, Straßengeschichten: Wärme in der Kältewelle

Ich saß vor dem Laptop, als alle Medien von der Kältewelle berichteten und wie gefährlich sie für Obdachlose ist. Mich hat das fertig gemacht. Ich saß auf dem Sofa, schaute aus dem Fenster, und konnte die eisige Nacht quasi sehen. Ich saß hier in meinem Zimmer, die Kerze flackerte. Ich bekam ein schlechtes Gewissen.

Womit hab ich das verdient? Jetzt hier im Warmen und Trockenen zu sein, während noch so viele draußen sind? Ich muss so nicht denken. Doch genau dieser Gedanke kam in mir auf.

Obdachlose in der Kältewelle

Dieser Gedanke hat mich gelähmt wie die Kälte. Ich will etwas für diese Menschen tun, ich will sie von der Straße holen. Ich möchte etwas verändern. Dabei bin ich Realist und weiß auch, dass sich nicht von heute auf morgen alles ändern kann. Es ist aber dringend Zeit, damit anzufangen.

Die Stadt hat zumindest die Öffnungszeiten des Winternotprogramms verlängert. Das Angebot wird aber kaum genutzt. Das zeigt mir, dass wir nicht darüber diskutieren müssen, ob das Winternotprogramm ganztägig geöffnet wird, sondern wie dieses Programm verbessert werden kann, damit es den Menschen etwas nützt. Ein reiner Erfrierungsschutz reicht eben nicht mehr aus, auch nicht für einen längeren Aufenthalt.

 

Während sich bei der Stadt nur sehr langsam etwas bewegt, sind die Menschen dieser Stadt in Bewegung. Die Diakonie hat einen Aufruf an die Bürger veröffentlicht, auf ihre Mitmenschen zu achten und mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen. Wenn jemand unmittelbar in Gefahr ist, den Notruf 112 wählen. Lassen wir niemanden links liegen.

Die Boxer der Hamburg Giants öffneten ihre Halle, um Menschen während der Kältewelle übernachten zu lassen. Da trainieren bestimmt Jungs, bei denen manche vor Angst die Straßenseite wechseln würden. Der FC St. Pauli hilft aus und macht seine Fanräume über das Wochenende auf.

Hamburg zeigt sein Herz

Ich sehe die Obdachlosen-Initiativen und privat organisierte Gruppen, die sich mit Bollerwagen, Einkaufswagen, mit Taschen und Rucksäcken beladen auf den Weg machen, um Not zu lindern. Es gibt dann Menschen, die sich in der eisigen Kälte direkt ausziehen, weil sie so dringend frische Klamotten brauchen.

Das alles ist unfassbar schön. Hamburg zeigt mir wieder, was wir gemeinsam anpacken können. Manchmal bin ich müde vom helfen. Diese Geschichten geben mir wieder Glauben und motivieren mich, weiterzumachen. Ich erzähle fast täglich, wie die kleinsten Dinge Hoffnung spenden können. Ein Lächeln, ein freundliches Wort. Manchmal vergesse ich das, weil die Aufgabe, die zu bewältigen ist, so groß ist. Aber dann erinnert mich Hamburg daran. Jede Kleinigkeit zählt. Danke.

Dominik Bloh, Jahrgang 1988, lebte elf Jahre lang immer wieder auf den Straßen von Hamburg. Gerade erschien sein Buch darüber: „Unter Palmen aus Stahl“, überall im Handel und versandkostenfrei hier im Onlineshop.

 

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