Chemnitz: Der Bürgerkrieg der Biedermänner

Ein Mob aus Hooligans und Rechtsextremen jagt Menschen, die sie für Ausländer halten, durch die Straßen einer deutschen Großstadt. Ein Verbrechen ist geschehen, und die Tatverdächtigen sind Flüchtlinge. Die Polizei ist unterbesetzt und überfordert. Hitlergrüsse, „Deutschland den Deutschen“, eine Pogromstimmung liegt in der Luft. Chemnitz, Sachsen, im Spätsommer 2018.

Ein Schock geht durch das Land. Überall auf der Welt beobachtet man mit Sorge, was passiert, und sogar die New York Times widmet den Ereignissen einen großen Bericht.

Doch das Erschreckende daran ist auch die Debatte danach.

Ein Bundestagsmitglied der AfD ruft unverhohlen zur Selbstjustiz auf. Partei-Chefin Weidel nutzt die Vorlage für Hetze gegen „Merkels Messer-Immigration.“ In den Asozialen Netzwerken stinkt es nach dem Vierten Reich. Und das Erschreckende: Es sind viele Biedermeier darunter. Rechtsextremismus, so scheint es, ist kein Tabu mehr. Er ist in der Mitte angekommen. Chemnitz ist der willkommene Anlass.

Chemnitz: Bürgerkrieg der Biedermänner

Heute erleben wir, was wir immer erleben, wenn wir gegen die AfD argumentieren. Einer wünscht mir einen Messerangriff. Einer wünscht sich, dass Journalisten aus den Verlagen auf die Straße gezerrt und zur Verantwortung gezogen werden. Einer träumt von einem Fallbeil für die Linksversifften. Das ist trauriger Alltag, aber etwas ist anders.

Es sind Biedermänner, mit kleinen Bäuchen, Kindern und breitbereiften Mittelklasseautos im Profil, sie posten unter ihren Namen und ungeniert. Sie haben keine Hemmung. Ihre Profile kochen über vor Hass, aufgesammelt in stinkenden Quellen. Der Rechtsstaat zählt für diese Menschen nichts. Sie wollen nichts von Rechtsstaat hören. Jeder, der dafür eintritt, ist „linksversifft“. Der Hinweis auf „die Antifa“ kommt unvermittelt und ohne jeden Kontext.

Und ja: Manche träumen vom „Bürgerkrieg“. Es ist nicht zu glauben.

Ich habe ein Unternehmen und vier Kinder. Ich habe bei der letzten Wahl für Angela Merkel gestimmt, werde es wieder tun, und meine Frau, mit der ich seit 14 Jahren verheiratet bin, verdächtigt mich, noch als erzkonservativer Knochen zu enden. Doch für diese Leute bin ich ein „linksversiffter Antifant“, weil ich es mir erlaube, auf unser Grundgesetz und das staatliche Gewaltmonopol zu bestehen.

Deutschland geht es so gut wie seit langem nicht, der Staat erwirtschaftet Milliarden Euro Überschüsse, beinahe alle Statistiken der OECD sehen das Land wirtschaftlich vorne, in Umfragen zur Lebensqualität rangieren unsere Städte ganz vorne. Man mag sich nicht vorstellen, was im Falle einer Wirtschaftskrise los wäre.

Das Goebbels-Imitat hetzt weiter

Die AfD zündelt weiter. Rechtsdraußen Höcke, dieser verschmierte Goebbels-Imitator, hat eine Demonstration in Chemnitzangekündigt, und eine weitere Eskalation ist zu befürchten. Es ist eine Frage der Zeit, wann es die nächste Auseinandersetzung gibt. Hooligans gegen Flüchtlinge, die nichts zu verlieren haben. Die Frage, ob die Polizei in Ostdeutschland der Lage Herr wird, muss gestellt werden an einem Tag, an dem interne Ermittlungspapiere auf rechtsextremen Seiten auftauchen.

Ich habe heute gesagt, dass sich jeder positionieren muss. Jeder von uns. Es geht um unser Land, um ein tolerantes, weltoffenes Deutschland, ein liebenswertes Land. Dinge drohen ins Rutschen zu geraten.

Unsere Demokratie lebt vom Mitmachen. Vom Aufstehen. Wir müssen sie beschützen.  Jetzt liegt es an Jedem von uns.

Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. In seinem alten Leben war er Reporter für die Chicago Tribune und weltweit für Magazine wie max, Stern & GQ im Einsatz. Das Paar hat vier Kinder und lebt im Süden von Hamburg.

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