HAIFISCH BAR Geschichten: Das kleine Schiffchen der großen Helden

Vor kurzem saß ich mittags im Hai und las in der Zeitung, als eine alte Dame in die Bar kam. Sie trug einen Hut, einen Trenchcoat, einen Schal, der nach englischem Landadel aussah und hatte insgesamt etwas Miss-Marple-haftes. Sie grüßte René, den Barmann, und steuerte das Spendenschiffchen der Seenotretter an, das vor den Zapfhähnen auf dem Tresen steht. Sie setzte sich damit an einen Tisch, kramte einen Zettel aus ihrer Handtasche und begann dann, das Kleingeld zu zählen. Die Münzen stapelte sie auf kleine Haufen, Scheine legte sie extra.

Ich mochte sie zunächst nicht stören, weil sie sehr konzentriert wirkte. „Immer ein gutes Schiffchen in der Haifisch Bar“, erklärte die alte Dame, tippte zufrieden auf ein Türmchen aus 2-Euro-Münzen. Ihren Namen möchte sie nicht in der MOPO lesen, auch nicht ihr Alter (jenseits der 80). Nur soviel: Sie sei „echte Hamburgerin“ und seit vielen Jahren für die Seenotretter im Einsatz, um das Geld aus den Schiffchen zu sammeln und zur Bank zur bringen. „Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?“ „Ach watt“, murmelte sie, sie müsse weiter.

Das Schiffchen der Seenotretter

Als sie zur Tür hinaus war, dachte ich darüber nach, was für eine phantastische Organisation die Seenotretter sind. Seit mehr als 150 Jahren sind sie im Einsatz, bis heute ohne einen Euro Unterstützung durch den Staat. Ihr Engagement wird getragen von den Bürgern und von Ehrenamtlern. Von Damen wie der Hamburger Miss Marple und Männern und Frauen, die bereit sind, für andere auf See alles zu riskieren.

Über „Helden“ wird viel geredet, ein „Held“ ist schnell gefunden in einer Zeit, in der Nachrichten laut sein müssen, um noch gehört zu werden. Es gibt „Helden“, die so genannt werden, weil ihre Mannschaft ein Tor mehr in einem Fußballspiel geschossen hat. Manche werden als „Küchenhelden“ bezeichnet, einfach nur, weil sie irgendwie kochen können. Es gibt „Helden“, die Pizza ausfahren. Seenotretter sind echte Helden.

Was sie leisten, ist für Landbewohner oft gar nicht zu verstehen. Ich habe es erst richtig begriffen, als ich mit Kapitän Schwandt nach Island reiste, um an unserem Buch „Sturmwarnung“ zu arbeiten. Südlich der Färöer-Inseln kam die Fähre in einen schweren Sturm. Als ich hinaus trat an Deck, erschrak ich: Das war kein Sturm, wie ich ihn von Land kannte. Er klang wie ein verwundetes Tier, er röhrte, brüllte, er schrie. Wie mag es für die Seenotretter sein, unter solchen Bedingungen hinaus zu fahren? Im Wissen, dass kein Boot unsinkbar ist?

Ich stecke Wechselgeld immer ins Schiffchen, wenn ich im Hai bin. Besser kann man sein Kleingeld nicht anlegen.

 

Jeden Samstag erzählen wir eine Geschichte aus der Haifisch Bar. Haben Sie auch eine für uns? Melden Sie sich: haifischbar@ankerherz.de 

MAYDAY setzt den Männern und Frauen der Seenotrettung ein Denkmal. Das Buch ist überall im Handel und hier bestellbar.

 

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