Hamburger Fährkapitän erzählt : „Wir fahren immer.“

Ein Hamburger Fährkapitän der HADAG erzählt in unserem Ankerherz Buch „Kapitäne“ aus seinem Alltag. Von Sturm, von renitenten Fahrgästen – und welche Rolle ein säbelschwingender Typ in seiner Laufbahn spielt. „Kapitäne“ gibt es in jeder Buchhandlung und hier bei uns im Ankerherz Buchladen. Viel Spaß mit diesem gekürzten Auszug!

Ein durchgeknallter Typ mit zwei Säbeln ist dafür verantwortlich, dass ich zur See fuhr. Es passierte irgendwann in den 1970er-Jahren, als ich zwischenzeitlich auf dem Kiez, sagen wir: „verschwunden“ war. Sankt Pauli, Reeperbahn, das volle Leben, Club 88, es war phänomenal. Zumindest bis in jene Nacht, als dieser Typ mit zwei Säbeln in den Club stürzte und auf mich losging. Der Kerl war völlig von Sinnen. Ich rannte raus und flüchtete mich in eine Schwulenbar nebenan. Dort verteidigte und rettete man mich. Noch in dieser Nacht entschied ich: Das wollte ich nie wieder erleben.

Ich ging wieder zur Schule, machte meinen Matrosenbrief fertig und heuerte auf einem Forschungsschiff an. Nordsee, Ostsee, Mittelmeer. Eigentlich hatte ich Bäcker werden wollen, doch ich hielt es zu Hause nicht mehr aus. Mit 14 war ich abgehauen, meldete mich aber wenig später mit Kopfschmerzen bei der Polizei zurück. Die Seefahrtschule in Bremerhaven lief ganz gut, bis ich mit der Tochter des Bootsmann flirtete. War aber kein größeres Problem, ich musste nur einen Umweg über die Schule in Finkenwerder nehmen.

Man merkt schon: Mein Leben lief nicht immer nach einer gradlinigen Planung.

Mein Leben war bewegt wie die See, wenn es draußen Wind hat. Zwischendurch blieb ich wegen einer Liebe an Land und machte in Versicherungen, zehn Jahre lang. Nach der Scheidung musste ich was anderes machen. In der BILD-Zeitung las ich eine Annonce: „Schiffsführer gesucht!“ Ein Job wie für mich gemacht, und so kam ich 2002 zur HADAG.

Hamburger Fährkapitän erzählt

Die meisten denken, die Anlegemanöver seien das Schwierigste an unserem Job. Das stimmt nur zu Teilen, etwa dann, wenn es windig über der Elbe ist. Das Zählen der Fahrgäste ist kompliziert, besonders in den Sommermonaten. Auf der Linie 62, die von den Sankt Pauli Landungsbrücken bis Finkenwerder geht und mit 4.5 Millionen Fahrgästen die meistgenutzte Fährverbindung der Welt ist, kann an manchen Tagen eng werden. (Ankerherz Blog: „Kleinste Kreuzfahrt der Welt.„)

Trotz der schnellen Taktung, denn in den Hauptzeiten kommt alle zehn Minuten eine Fähre. Millionen Touristen kommen jährlich nach Hamburg. Dass die Fahrt mit der 62 nach Finkenwerder eine günstige Variante der Hafenrundfahrt ist, hat sich bis in den letzten Winkel von Nepal rumgesprochen. Dazu kommen die Pendler, die in die Stadt und in den Hafen müssen.

250 Passagiere auf dem Bügeleisen

Maximal 250 Passagiere dürfen wir auf den Standard-Bügeleisen mitnehmen, auf den ganz neuen Fähren sind es 380 Gäste. Klingt viel, füllt sich aber schnell. Wir Fährenkapitäne tickern dann durch ein Sichtfenster auf der Brücke genau mit. Manchmal müssen wir Leute bitte, wieder auszusteigen, wenn es gar nicht anders geht. Und wenn sie dann nicht hören wollen, muss auch mal die Polizei die Fähre räumen, bis es weitergehen kann.

Einmal habe ich eine forsche Ansage gemacht. Als sich jemand lauthals beschwerte, sagte ich über den Lautsprecher: „Keine Aufregung! Die nächste kommt doch in ´ner halben Stunde.“ Was prompt jemand mit dem Handy filmt und bei YouTube einstellte. Wieder was gelernt. Ich halte mich seither etwas zurück, was solche Kommentare angeht.

Doch zurück zur möglichen Überladung. Sicherheit geht immer vor und auch die lieben Kollegen von der Wasserschutzpolizei nehmen das ganz genau. Es kann empfindliche Strafen geben, wenn zu viele Passagiere an Bord sind. Die zahlt nicht mein Arbeitgeber, sondern derjenige, der auf der Brücke die Verantwortung trägt. Also ich.

Fährkapitän: Linie 62 ist besonders beliebt

Acht bis zehn Stunden dauert eine Schicht. Die Linie 62 ist unter den Schiffsführern besonders beliebt, die Elbe runter, an den großen Pötten vorbei. Ist man auf 62 eingesetzt, fährt man vier bis fünf mal nach Finkenwerder und zurück. Aufmerksamkeit und Konzentration sind immer gefragt. An manchen Tagen ist besonders viel los auf dem Fluss, vor allem beim Hafengeburtstag muss man im Gewusel auf dem Wasser aufpassen.

 

Nebel mag er nicht

Die kritischste Situation erlebte nicht ich, sondern ein Kollege. Als ein politischer Aktivist die Brücke kaperten und eine Fähre entführten, um auf ihre Ziele aufmerksam zu machen. Zum Glück ging alles ohne Gewalt und Blutvergießen aus. Auch die Havarie aus dem Frühjahr 2019 sollten wir nicht vergessen (Bericht dazu im Ankerherz Blog). Da rammte einer der größten Containerfrachter der Welt, die „Ever Given“, unsere HADAG-Fähre Finkenwerder mit dem Heck. Mein Kollege kam mit dem Schrecken davon, er hat Glück gehabt. Die Fähre ist Schrott und auch der Anleger bekam einiges ab. Wäre dieses Unglück nicht am frühen Morgen eines Februarwochenendes passiert, hätten wir zahlreiche Tote zu beklagen gehabt.

„Wir von der Hadag fahren immer“

Einige meiner Kollegen fahren lieber früh am Morgen los, mit dem ersten Dienst um Viertel nach 4 Uhr. Mir ist die Uhrzeit eigentlich egal. Nur Nebel mag ich überhaupt nicht, das geht vielen Kollegen so. Auf der Tour von Teufelsbrück nach Blankenese ist mir bei pottendickem Dunst mal ein Motorboot fast reingerauscht. Der war viel zu schnell unterwegs und an einer Stelle, wo er nichts zu suchen hatte. Rücksichtslos, bekloppt. Mich haut ja so schnell nichts um, aber ich habe vor Schreck fast einen Herzkasper bekommen. Am Anleger musste ich erstmal eine Pause machen, um mich zu sammeln.

Wir von der Hadag fahren immer. Auch bei Sturm, auch bei Wellen, die auf der Elbe ganz schön anwachsen können, auch bei Eisgang. Die Fähren sind robust, und wir sind es auch. Bei Wind warne ich die Leute auf dem Oberdeck, dass sie nass werden. Einige harren immer aus.

Spätestens nach zwei Stationen und einer Dusche sind aber meist alle unter Deck verschwunden.

 

 

Schiffsführer Jens Mielke, Jahrgang 1955, kam in Hamburg-Barmbeck zur Welt. Mit 21 machte er sein A4-Patent zum Kapitän auf kleiner Fahrt. Er ist einer von knapp hundert Schiffsführern der Fährgesellschaft HADAG. Mielke lebt in „in der schönsten Stadt der Welt“. Also Hamburg.

Hintergrund: Seit 1888 fahren die HADAG-Schiffe im Liniendienst durch den Hamburger Hafen. Es gibt sieben Linien und 20 Anlegestellen, die von 26 Schiffen angefahren werden. Jährlich befördert die HADAG mehr als acht Millionen Fahrgäste.

 

 

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