KÄPT`N SCHWANDT: Advent ist, wenn alle durchdrehen
In diesen Tagen lese ich überall, dass im Verhältnis zwischen Russland und dem Westen eine neue Phase des Kalten Kriegs begonnen hat. Ich kann ihnen sagen: Was da gerade passiert, in Sachen Wettrüsten und permanenter Eskalation, ist Kinderkacke im Vergleich zu dem, was sich in den Vorgärten meiner lieben Nachbarn abspielt.
Es ist Advent oder anders: Es ist die Zeit im Jahr, in der wieder alle durchdrehen.
Ich trat auf die Terrasse und beobachtete, wie mein Nachbar zur Linken ein Plastik-Rentier aufstellte. Beleuchtet. Als ich wenige Stunden später wieder vor Tür komme, hat mein Nachbar zur Rechten einen Eisbären installiert. Von innen illuminiert. Nach Links kontert kurz darauf mit einem blinkenden Schlitten, neben dem Rentier, das er in weiser Voraussicht verschoben hat, um Platz für weitere Munition zu schaffen. Die Antwort auf diese Provokation lässt nicht lange auf sich warten: drei Pinguine, mit Leuchtdioden versehen. Ein Eisbär und drei Pinguine, das Beste von beiden Polen.
Ein singender Tannenbaum
Der Nachbar links fährt eilig zum Baumarkt und platziert einen Weihnachtsmann auf den Schlitten und, um das ein für alle mal klar zu machen, wer in unserer Straße das Fest der Liebe zum Strahlen bringt, einen sich drehenden Weihnachtsbaum, der „Oh Tannenbaum“ singen kann. Es klingt ähnlich bescheiden wie dieser „Band-Aid30“-Song gegen Ebola, aber das ist ein anderes Thema.
Nachbar rechts ist von diesem Wirkungstreffer kurz beeindruckt, holt dann aber zum Gegenschlag aus. Eine Kommando-Operation auf drei Ebenen, kühl geplant eiskalt ausgeführt:
- Ein noch größerer Weihnachtsbaum aus Kunststoff, blinkend, aber Gottseidank stumm.
- Lichtergirlanden am kahlen Apfelbäumchen.
- Künstliche Kerzen auf dem Balkon, die permanent die Farbe von Rot zu Gelb wechseln und rhythmisch blinken, wie Leuchtbojen in der Nacht.
Ich frage mich inzwischen, ob man unsere Reihenhaussiedlung mit bloßem Auge von der Weltraumstation ISS sehen kann. Es ist ein Gefunkel und Geblinke, gegen das der Hamburger Dom wie das Gefunzel eines Waldorf-Kindergartens wirkt und das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, denn eben hielt der Kombi des Nachbarn zur Linken, der sich noch immer nicht kapituliert hat. Gegrüßt wird sich übrigens nicht in diesen Tagen. Die Sache ist einfach zu ernst.
Jürgen Schwandt, Jahrgang 1936, wuchs in Sankt Georg auf. Er fuhr jahrzehntelang zur See und wechselte dann zum Wasserzoll. Gerade erschien „Klare Kante“, das Buch mit seinen besten Kolumnen.
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