Kapitäne erzählen: Die Beinahe-Katastrophe vor New York City
Die Beinahe-Katastrophe von New York City. Das Fahrwasser unter der Verrazano-Narrows Bridge ist eng, und ein vollbeladener Gastanker kommt dem Frachter entgegen. In diesem Moment fällt ohne jede Vorwarnung die Maschine aus. Kapitän Peter Rößler über seine kritischsten Minuten auf See.
Aufgeschrieben von Stefan Kruecken. Ein Auszug aus unserem Buch „Kapitäne„. Überall im Handel und hier im Ankerherz Buchladen zu haben.
Es war eine schwierige Reise gewesen, die in Bremerhaven begonnen hatte. Nach Rotterdam waren wir in die Ausläufer des Orkans „Kyrill“ geraten, mit enormem Schwell und sehr hoher See. Mit vier Tagen Verspätung kamen wir in Halifax an. Die Reise ging weiter entlang der Ostküste der USA, durch den Panamakanal, und dann von San Francisco nach Japan bis zum Zielhafen Hongkong. Das Schweröl, das wir dort gebunkert hatten, bereitete uns auf der Rückreise Probleme. Ständig setzten sich die Filter zu, weil der Brennstoff mangelhaft war. Die Maschinenbesatzung bekam das Problem aber in den Griff.
Ich machte mir jedenfalls keine Gedanken, als wir New York City anliefen und alle Umschlagarbeiten pünktlich abschlossen. Ich studierte die Wetterberichte für die Atlantik-Überquerung. Ruhiges Wetter wurde angesagt, Rückenwind. Wir lagen im Fahrplan, ich freute mich auf zu Hause. Es war ein ruhiger Sonntag, dieser 17. März, leichter Schnee fiel auf die Dächer von New York.
„Maschine klar“, meldete der Leitende Ingenieur, der Lotse kam an Bord. Um 21 Uhr verließen wir unseren Liegeplatz im Global Terminal.
Was ich nicht ahnen konnte: Nun begannen die aufregendsten Stunden meiner Laufbahn.
Schnee fällt über New York City
Mit Hilfe zweier Schlepper hatten wir die „Kobe Express“ gedreht und nahmen Fahrt auf, in den betonnten Ambrose-Kanal. Ein großer Gastanker kam uns entgegen. Um ausreichend Abstand zu haben, hielten wir uns mit der Steuerbordseite nahe am rechten Tonnenstrich. Ganz langsame Fahrt. Um exakt 22.04 Uhr passierten wir die Verrazano-Narrows Bridge, die Staten Island und Brooklyn verbindet. Kurz darauf bemerkte ich, dass eine gewaltige Dampfwolke aus unserem Schornsteig aufstieg. Ich wunderte mich und trat hinaus auf die Brückennock, um zu sehen, was los war. Es war exakt 22.14 Uhr, als ich auf die Brücke zurück kam und die Maschine ausfiel. Ohne Alarm, ohne jedes Vorzeichen. Sofort versuchte ich, sie von der Brücke wieder zu starten.
„Schiff lässt sich nicht mehr steuern“, meldete der Rudergänger. „Schiff läuft aus dem Ruder!“
Das ablaufende Wasser drehte die „Kobe Express“ nach Backbord und direkt auf den Gastanker zu, der schon ganz nahe war. Ein kritischer Augenblick, bestimmt einer der heikelsten in meiner Zeit auf See.
Der Gastanker kommt näher
Der große Gastanker kam immer näher, ohne eine wirkliche Chance, uns auf dem engen Kanal auszuweichen. Der Lotse, ein groß gewachsener, hagerer Mann, vielleicht Anfang 40, schrie wilde Kommandos über die Brücke.
Doch noch ein Kontrollverlust brachte uns in diesem Moment nicht weiter. Ich überlegte, was zu tun war, und rief im Maschinenkontrollraum an.
„Können wir den Notfahrstand starten?“, fragte ich den Leitenden Ingenieur. Er versuchte das, doch die Maschine sprang nicht an. Über das UKW-Gerät hörte ich die aufgeregten Stimmen meines Kollegen auf dem Gastankers und dessen Lotsen. Es kam nun auf jede Sekunde an.
Die Brückenuhr zeigte 22:19 Uhr.
„Anker an Steuerbord fallen lassen, fünf Kettenlängen!“, befahl ich.
Wenig später wurde das Schiff regelrecht nach Steuerbord gerissen und stoppte ab, doch das Heck drehte mit schneller Geschwindigkeit auf den voll beladenen Gasttanker zu.
Ich ließ den Backbord-Anker fallen.
Das Manöver gelang, die „Kobe Express“ stand. Solche Entscheidungen trifft man kurzfristig, mit der Erfahrung von vielen Jahren auf See. Ich sage: Die hat man irgendwann im Langzeitspeicher. In Schulungen, Seminaren oder am Simulator lernt man so etwas nicht, und es hilft einem auch keine dieser Excel-Tabellen, die heutzutage als so modern gelten. Kapitäne brauchen Erfahrung, um in Krisensituationen richtig zu reagieren, davon bin ich überzeugt.
Beinahe-Katastrophe unter der Verrazano-Brücke
Mit einem Abstand von vielleicht hundert Meter passierte der Gastanker unser Heck. Welche Folgen es gehabt hätte, wenn es zu einer Kollision und womöglich zu einer Explosion des Gastankers gekommen wäre? In unmittelbarer Nähe der stark befahrenen Verrazano-Narrows Bridge zwischen Staten Island und Brooklyn? Ich mag es mir nicht vorstellen.
Ich atmete auf, doch nur kurz, denn wir trieben noch immer ohne Maschine und mit zwei Ankern vor New York City und lagen nun quer im Fahrwasser des Kanals. Der auslaufende Strom drückte uns vollständig um die eigene Achse. Der Lotse hatte sich etwas beruhigt und Kontakt zu vier Schleppern aufgenommen, die uns zu einem Ankerplatz bringen sollten. Ich ließ beide Anker hieven, und um 23:20 Uhr meldete der Leitende Ingenieur, dass die Maschine wieder lief. Ich gab „langsame Fahrt“ zurück, die Schlepper zogen.
Doch nichts geschah. (…)
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