Kapitäne erzählen: Mein Zoff mit der Roten Flotte
Mein Zoff mit der Roten Flotte. Als die fünfte Morse-Code mit der gleichen Frage kommt, antwortet Horst Hahn in einem Akt humoristischer Notwehr. Doof nur, dass an Bord des Kriegsschiff der Roten Flotte niemand darüber lachen mag. Die Dinge eskalieren… Auszug aus unserem Bestseller „Kapitäne„, das es bei uns im Online Buchladen gibt.
„Kapitän „Schorse“ war als Mann mit einem Faible für deftige Scherze bekannt. Einmal, als wir nach einer langen Reise in Bremen festmachten und mit der Straßenbahn in Richtung Innenstadt ratterten, trieb er es auf die Spitze. Es war ein grauer Herbsttag, es hatte zu nieseln begonnen und die Scheiben der Tram waren beschlagen wie in einer ungelüfteten Waschküche. Ein Fahrgast erkundigte sich: „Wo sind wir?“
Käpten Schorse öffnete ein Fenster, nahm sein Glasauge heraus, hielt es hinaus und rief: „Nächste Station: Finndorf!“
Humor ist ein Begleiter, der einem durch dunkle Stunden hilft, aber dass der richtige Scherz im falschen Moment Probleme bereitet, bekam ich aus der Kanone eines russischen Kriegsschiffs zu spüren. Als Erster Offizier fuhr ich auf der „Admiral Luckner“ von Bremerhaven durch die Baringsee, um Holz zu holen, und uns kam im Nebel nahe der Stadt Murmansk ein Zerstörer der Roten Flotte entgegen.
Morsezeichen der Roten Flotte
„Wie heißt ihr Schiff? Wo fahren sie hin?“, morste man uns an, was ich sofort erwiderte. Die Frage wurde wiederholt, noch zwei weitere Male. Und wieder. Ich wunderte mich, aber ich wiederholte artig meine Antworten.
Nach der fünften Frage wurde mir das Quiz langweilig. „Wie heißt ihr Schiff? Wo fahren sie hin?“, morsten die Russen, und diesmal gab ich zurück. „Agathe Hackbrett auf dem Weg von Tampico nach Arizona!“
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Keine Antwort. Dann signalisierte das Kriegsschiff: „Maschine stoppen, oder wir eröffnen das Feuer!“ Ich dachte: „Ihr tickt doch nicht richtig“, und fuhr weiter.
Bis ein Schuss vor dem Bug einschlug. Von der Detonation geweckt, erschien Käpten „Schorse“ auf der Brücke: „Hahn! Was ist los?“ Meine Erklärung, in einem Akt humoristischer Notwehr gehandelt zu haben, überzeugte ihn wenig. „Hahn, sind sie verrückt geworden“, stieß er hervor, und dann beobachteten wir, dass der Zerstörer ein Motorboot zu Wasser ließ. Mit vorgehaltenen Maschinenpistolen und unter schwarzen Masken brauste eine Einheit auf uns zu und ging an Bord. Die Russen – sie sahen nicht aus, als lachten sie gerne und ausgiebig – übernahmen die Brücke. Wir liefen Murmansk an.
Humoristische Notwehr kam eher ungut an
In den Verhören, die nun folgten, stellte sich heraus, dass Kadetten auf der Brücke des Kriegsschiffs ihre Morsetechnik üben wollten, weshalb einer nach dem anderen die Fragen absetzte. Über meine Frechheit war man wenig amüsiert, und die Frage, wie der Stolz der „Roten Flotte“ wiederhergestellt werden konnte, drohte eine zähe Angelegenheit zu werden. Kostbare Zeit. „Mein Erster Offizier ist ein Flegel“, entschuldigte sich Kapitän Schorse.
Ich spielte den Zerknirschten und bot als Geste tief empfundener Reue an, die Offiziere zu einem Drink einzuladen. Eine Idee, die sofort auf Begeisterung stieß. Wenig später saßen wir mit mehr als 30 russischen Militärs unter einem Roten Stern im Offizierskasino und stießen an: „Na Sdarówje!“
Die erste Runde, bis zum Rande mit Wodka gefüllte Wassergläser, ging, wie mir Schorse zuraunte, auf meine Rechnung. „Oweija“, dachte ich, als ich sah, mit welcher Zielstrebigkeit die Offiziere den Schnaps herunter spülten und schon die nächste Bestellung aufgaben. „Zum Zeichen des Friedens wollen auch wir sie einladen“, sprach nun einer von ihnen auf Englisch, und ich behaupte, ein leises, diabolisches Lächeln bemerkt zu haben.
Wach geworden im Militärkrankenhaus
Jeder einzelne von ihnen lud mich ein, und die Einladung eines russischen Offiziers auszuschlagen, galt als unfeiner als mein „Agathe-Hackbrett“-Affront. Zum Wohle der Reederei gab ich also mein Bestes, merkte aber, dass mir bereits nach dem dritten Glas schummrig zumute wurde. Ich eilte zur Toilette, um die erste Bestellung zurück zu geben, doch spürte, dass dies nicht ausreichen würde, um die nächsten Stunden zu überstehen. Wenig später wurde es dunkel.
Zwei Tage später kam ich im Militärkrankenhaus von Murmansk wieder zu mir. Mit einem Gefühl, als tobten Eichhörnchen durch meinen Schädel. Ohne eine Sonde, mit der man mir eilig den Magen auspumpte, wäre ich womöglich gar nicht wieder aufgewacht. Kapitän Schorse ließ mich abholen und gestattete mir gnädigerweise, bis zum nächsten Tag zu ruhen. Ich fühlte mich elend, eine Woche lang spürte ich eine furchtbare Übelkeit, aber zum Wachdienst musste ich antreten.
„Das ist die gerechte Strafe“, raunte mir Schorse zu, „und Hahn: Erwähnen sie nie wieder den Namen ‚Agathe Hackbrett‘ auf meiner Brücke.““
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