Kapitäne erzählen: SOS in der Biskaya

12. Februar 1970, in der Biskaya. Der Sturm kommt von vorne, als Kapitän Peter Steffens ein S.O.S auffängt. „Please pick me up, Sir“, fleht eine Stimme über Funk. Obwohl sein eigener Tanker schwer in der See liegt, eilt der Hamburger sofort zu Hilfe. Und riskiert für die Rettung der Schiffbrüchigen alles. Geschichte aus unserer Anthologie „Orkanfahrt“.

„Der dritte Sturm in Folge hatte uns erwischt, mit zehn bis zwölf Beaufort aus West. Seit Stunden lagen wir beigedreht in der Biskaya. Unser Tanker „Thoralbe“ hatte Chemikalien für Barcelona geladen und lag richtig tief in der See; das Deck war fast ständig überspült. Sorgen machte ich mir trotzdem kaum, denn wir taten, was in diesem Wetter eben zu tun ist: Bug in den Wind drehen, Kurs halten, fertig. Vor uns lag ein anderes Schiff, das ebenfalls den Sturm abritt; ab und zu konnte ich zwischen den Wellen und in einiger Entfernung die Masten sehen. Es war der 12. Februar 1970.

Um 7.18 Uhr erhielt ich einen Hilferuf: S.O.S., dänisches Motorschiff „Renate S.“, Position 46°50’ Nord, 06°40’ West, offenbar also das Schiff, das ich vorher beobachtet hatte. Ich meldete mich sofort über Funk, ließ die Deckbesatzung wecken, Bootsleitern über Bord hängen und sämtliche Rettungsringe klar machen. Wir fuhren halbe Kraft voraus, mehr ging nicht; die Brecher trafen uns wie die Fäuste eines Schwergewichtsboxers.

SOS in der Biskaya

Kurz vor acht gab der Kapitän der Dänen durch, seine Besatzung und er müssten das Schiff verlassen. Es treibe mit 50 Grad Schlagseite. Was er sagte, vergesse ich nie: „Please pick me up, Sir!“ Man konnte die Angst in seiner Stimme hören. So ruhig wie möglich antwortete ich: „Okay, wir gabeln euch gleich auf, keine Sorge!“ Dabei wusste ich eigentlich nicht, wie wir das bewerkstelligen sollten.

Wir konnten beobachten, wie die Dänen im Windschatten ihres Schiffes in einem aufblasbaren Rettungsfloß trieben und zunächst Schwierigkeiten hatte, sich loszumachen. Als es schließlich gelang, riss sie der Sturm sehr schnell fort. Ich versuchte nun, zwischen Havaristen und Floss zu gelangen, aber der Sturm drückte uns in Richtung des Wracks. Es wurde richtig brenzlich. Ruder hart Steuerbord!

Obwohl das Floßdicht neben uns trieb, gelang es nicht, eine Leine hinüber zu werfen. Der Sturm spielte mit uns und ich fürchtete, das Floß könnte mit der nächsten See auf unser Deck schlagen. Ich drehte „Thoralbe“ um 180 Grad, hatte es nun an Backbord im Windschatten, allerdings knapp 50 Meter achteraus. Ich entschied mich zu einem Rückwärtsmanöver – was mancher Kapitänskollege kritisieren mag – aber Erfolg hatte: Wir schafften es, eine Leine hinüber zu werfen.

Gleich der erste Schiffbrüchige kletterte so überhastet die Leiter hinauf, dass er abrutschte, die Schwimmweste verlor und fast ertrank. Die anderen banden sich also zunächst die zugeworfene Leine um den Oberkörper. Man muss sich vorstellen: Das Floß, inzwischen mit zwei Leinen an fest gemacht, bewegte sich etwa acht Meter auf und ab und entfernte sich bis zu 15 Meter von der „Thoralbe“ weg. Eine Gefahr waren auch die Brecher, aber gegen neun Uhr hatten wir alle Seeleute an Bord. Ich muss sagen, dass ich mit solch einem schnellen Erfolg nicht gerechnet hatte. Niemand war verletzt. Der Maschinist aber schien einen Schock zu haben, denn er brachte keine zusammen hängenden Sätze mehr heraus.

 

Die Dänen, völlig durchnässt und erschöpft, bekamen von uns warme Decken und Kleidung. Ihrem Kapitän – ich meine, der hieß Hansen – gab man sogar eine Krawatte. Hansen sah aus wie ein typischer Däne: Blond und groß. Er kam zu mir auf die Brücke und erzählte, dass sich ein Teil der Ladung los gerissen hatte und die Schiffswand Knitterfalten aufwies, als sie ausstiegen. Wir beobachteten, wie die „Renate S.“ kenterte und kieloben trieb. Hansen hatte richtig feuchte Augen, als sein Schiff um 10.14 Uhr in der Biskaya unterging. Der Mann war am Boden zerstört. Wir haben erstmal ein Bier aufgemacht.

„Meine Pornosammlung!“

Der Steuermann der Dänen, ein klein gewachsener Witzbold, heiterte die Situation etwas auf, in dem er begann, fürchterlich zu fluchen. Es ging um den Inhalt einer Kiste, die er unter seiner Koje deponiert hatte: „Meine Pornosammlung! Alles weg!“, rief er immer wieder.

Wir liefen La Coruna an, um die Schiffbrüchigen an Land zu bringen. Zwei Schiffe, dabei ein Tanker, der wesentlich größer war als unsere „Thoralbe“, hatten auf die Hilferufe der „Renate S.“ und auch auf das optische SOS-Signal nicht reagiert. Die waren einfach weiter gefahren. Unsere Aktion stand am nächsten Tag in der „Bild-Zeitung“: „Hamburger holten Dänen vom sinkenden Schiff“ hieß die Überschrift. Der Senator für Wirtschaft und Verkehr schrieb mir einen netten Brief und die „Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“ schickte eine silberne Medallie.

Aber von den Dänen habe ich nie wieder etwas gehört.

 

Kapitän Peter Steffens, 1937 in Hamburg geboren, fuhr fast ein halbes Jahrhundert zur See. Der Sohn einer Kapitänsfamilie machte 1964 sein Patent und befehligte danach Schiffe aller Größen, vom Küstenmotorschiff zum Supertanker. Zuletzt steuerte Steffens Spezialtransporter, mit denen sogar Teile von Bohrinseln befördert werden können. Im Jahr 2000 ging er in Ruhestand. 

Diese Geschichte stammt aus ORKANFAHRT  – 25 Kapitäne erzählen die beste Geschichte ihres Lebens. Überall im Handel und hier bei uns.

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