KAPITÄNSGESCHICHTE: Als der Frachter explodiert

Kapitän Peter Lunau ist auf dem Weg in die Koje, als eine Explosion das Schiff erschüttert. Flammen schlagen so hoch wie der Mast. Lunau zögert nicht: Er lässt die Mannschaft in die Rettungsboote steigen – nun beginnt auf dem Golf von Mexiko ein Kampf ums Überleben.

Eine echte Kapitänsgeschichte aus dem Ankerherz-Bestseller ORKANFAHRT, aufgeschrieben von Stefan Kruecken.

 

„Im Leben jedes Kapitäns gibt es Momente, in denen er so alleine ist, wie ein Mensch nur alleine sein kann. In diesem Augenblick muss man eine Entscheidung treffen, ohne zu zögern, und die Verantwortung dafür, wenn sie falsch war, nimmt einem niemand ab. Verlasse ich mein Schiff? Warte ich noch? Hinterher ist man froh, wenn man richtig lag – was in meinem Fall 26 Männern das Leben rettet.

Ich komme gerade aus der Dusche, als eine schwere Explosion die »Eva Maria« erschüttert. Die Tür des Badezimmers fliegt aus den Angeln und von der Decke lösen sich Teile der Holzverkleidung. Mein erster Gedanke ist: Wir haben etwas gerammt. Ich nehme die Treppe zur Brücke, zwei Mal sieben Stufen, das weiß ich noch genau. Und dann sehe ich, dass wir nichts gerammt haben. Das Schiff brennt. Eine Flammenwand, höher als der Mast. Ein Inferno.

Es ist Mittwoch, der 25. Januar 1978, 23.46 Uhr.

Der Frachter brennt! Alle Mann von Bord!

Mit einem Handgriff stoppe ich die Hauptmaschine und gebe Alarm. Der Erste Offizier Friedrich Hill und der Zweite Ingenieur Frank Holschuh sind inzwischen auf die Brücke geeilt, aber wir können nichts tun. Eine genaue Kontrolle des Schadens ist wegen der Größe des Brandes nicht möglich. Zwar läuft die Feuerlöschpumpe, doch es gelangt kein Wasser an Deck, weil die Druckwelle die Leitungen zerstört hat. Das Schiff sackt nach vorne weg. Um 23.55 Uhr steht meine Entscheidung fest: SOS geben! Rettungsboote besetzen! Alle Mann von Bord! Der Elektriker Peter Dams läuft zum Maschinenraum, um die Befehle weiterzugeben, denn die Sprechverbindung ist zusammengebrochen.

Bis zu diesen Minuten war es eine ganz alltägliche Reise gewesen. Ich hatte auf der Karibikinsel Puerto Rico eine Woche zuvor das Kommando über die »Eva Maria« übernommen, einen Linienfrachter von 9841 Bruttoregistertonnen, 150 Meter lang und 21 Meter breit, unter liberianischer Flagge. Unsere Ladung: Baumaschinen, Fernsehgeräte, Parkettholz – und eine fünf mal vier Meter große Holzkiste, die von der amerikanischen Küstenwache (die in Puerto Rico die Schiffsladungen inspizierte) besonders genau untersucht worden war. Darin befanden sich knapp drei Tonnen Sprengkapseln aus Brasilien, bestimmt für ein mexikanisches Bergwerk.

Das Meer brennt. Gespenstisch.

Innerhalb von fünf Minuten sind die Rettungsboote klar. Meine große Sorge aber ist, dass wir jemanden an Bord vergessen haben könnten. Ich laufe sämtliche Gänge ab und sehe in die Kabinen, während der Chief den Maschinenraum absucht. Als wir sicher sind, dass wir niemanden zurück gelassen haben, werden die Rettungsboote gefiert. Wir zählen noch einmal durch: 26 Mann, 21 von den Philippinen, der Rest aus Deutschland, alle an Bord, niemand verletzt. Es ist zehn Minuten nach Mitternacht.

Damit wir uns in der rauen See nicht verlieren, verbinden wir die Boote mit einer Schleppleine und entfernen uns unter Motorenkraft etwas von der »Eva Maria«. Wie schwer der Schaden ist, können wir bereits jetzt erkennen: Der Bug liegt unter Wasser, die Schraube ragt aus dem Wasser. An der Luvseite treiben brennende Ladungsgegenstände auf dem Wasser; Diesel ist aufgetrieben und hat sich entzündet. Das Meer brennt. Ein gespenstischer Anblick.

An Bord der Rettungsboote werden die ersten Besatzungsmitglieder seekrank; der Wind kommt mit sieben Beaufort aus Nord, die Dünung ist hoch. Um 00.30 Uhr taucht das brennende Wrack bis zum Hauptdeck ins Wasser ein. Noch vier Stunden können wir die Notbeleuchtung an Bord erkennen, dann wird es dunkel auf der »Eva Maria«. Wir bleiben in der Nähe, achten aber darauf, nicht mit brennenden Teilen und dem brennenden Ölteppich in Kontakt zu kommen.

Als der Morgen dämmert, entschließe ich mich, noch einmal an Bord zu gehen, um Maschinenraum und die Funkstation zu überprüfen. Wir haben trotz des abgesetzten SOS noch immer keinen Kontakt mit einem anderen Schiff oder einem Suchflugzeug. Der Maschinenraum steht fast vollständig unter Wasser; im Funkraum sind die meisten Geräte aus den Halterungen gesprungen und defekt. In den Gängen, in den Kabinen, überall sind die Schäden der Explosion zu erkennen. Vor der Ladeluke 4 ist die »Eva Maria« abgebrochen. Ich gehe zurück ins Boot.

Das Schiff sinkt.

Um 11.00 Uhr bekommt das Wrack starke Schlagseite. 20 Minuten später sinkt es, taucht über den Bug ein ins Meer. Ein Zischen, ein Brodeln, dann bleibt nur noch ein Ölfleck auf dem Wasser. Die Seeleute haben ihre Mützen abgenommen. Schweigend sehen wir zu. Für einen Seemann ist es ein beklemmender Anblick, sein Schiff sinken zu sehen.

Ich lasse die Motoren anwerfen und steuere Kurs Südost, um die mexikanische Küste zu erreichen. Weil die Besatzungen unter Seekrankheit leiden, setzen wir zusätzlich die Segel, damit die Boote ruhiger im Wasser liegen. Große Sorgen mache ich mir nicht: Wir haben Wasser und Proviant für zehn Tage, Treibstoff für zwei Tage, einen Kompass; mit Leuchtraketen könnten wir ein vorbeifahrendes Schiff auf uns aufmerksam machen. Die Boote wurden regelmäßig gewartet, sind in tadellosem Zustand und das Wetter ist, abgesehen vom Wellengang, erträglich. Die Temperatur beträgt 20 Grad. Ich bin sicher, dass wir die Küste erreichen.

 

Die Stimmung an Bord ist entspannt. Die erste Mahlzeit: vitaminreiche Trockennahrung, in Stangenform. Als es wieder dämmert, versuchen die Männer, ein wenig Schlaf zu bekommen. Die Filipinos, fast alle katholisch, beten. Wir segeln mit Kurs Südost durch die Nacht. Ein Mast bricht, lässt sich aber nach kurzer Zeit zusammenlaschen und wieder setzen. Die Situation wird gemeistert. Eine Bö reißt unsere einzige Seekarte von Bord. Für die Nacht bergen wir die Segel und takeln die Spritzverdecke auf; die Seen sind steil und hoch, Wind mit sechs Beaufort aus Nord.

Am nächsten Morgen, um 5.30 Uhr, schreit einer der Filipinos: »Ein Schiff, ein Schiff!« Etwas ist da am Horizont, etwa zehn Seemeilen vor uns. Euphorie an Bord, wir schießen Leuchtraketen ab. Doch keine Reaktion. Zwei Stunden laufen wir auf die Sichtung zu, dann ist klar: Es ist kein Schiff, sondern eine Ölplattform. Die »SEDCO 135«, eine amerikanische Bohrinsel, knapp 80 Seemeilen vor der Küste.

Wir sind gerettet!

Um 11.00 Uhr gehen wir an der Plattform längsseits und werden mit einem Kran an Bord genommen und sehr herzlich versorgt. Wir bekommen erstmal starken Kaffee und frische Kleidung. Die US-Küstenwache wird verständigt und ich rufe meine Reederei an. Unsere Familien erfahren, dass wir in Sicherheit sind. Am Abend holt uns ein Patrouillenboot der mexikanischen Marine ab. Am Sonntag, den 29. Januar 1978, erreichen wir am Vormittag nun doch Veracruz. Aus dem Hotel telefoniere ich mit meiner Frau. Die Mannschaft wird in einem Krankenhaus untersucht, alle sind wohlauf. Im Hotel zahle ich den Männern ihre Heuer aus. Die Männer fliegen in die Heimat.

Für mich verzögert sich die Rückkehr noch etwas, denn ich gebe während einer Seeamtsverhandlung in Mexiko-City Auskunft über die Ereignisse in der Nacht der Explosion. In der Hauptstadt kursieren Gerüchte: War es ein Terroranschlag? War es das Werk aufständischer Rebellen? Die innenpolitische Lage Mexikos ist zu diesem Zeitpunkt alles andere als stabil.

Eine Untersuchung wird später ergeben, dass sich das Verpackungsmaterial selbst entzündet hat, durch den Wechsel von Feuchtigkeit zu Trockenheit – und dann flogen die Zünder für das Bergwerk in die Luft. Der Untergang wird mich drei Jahre juristisch beschäftigen, bis zu einer Seeamtsverhandlung in Hamburg. Den amerikanischen Versicherern entstand ein Schaden von mehr als 40 Millionen Dollar.

Kapitän Peter Lunau wurde 1938 in Schleswig geboren und wuchs auf dem Holm, dem Fischerviertel der Stadt, auf. Schon früh entdeckte er seine Faszination fürs Meer und arbeitete nach der Seemannsschule in Hamburg als Matrose. 1967 machte er sein Kapitänspatent und fuhr bis zu seiner Pensionierung 2003 weltweit für die Reederei Laeisz.

Dies ist eine gekürzte Version einer Kapitänsgeschichte aus ORKANFAHRT. 25 alte Seeleute erzählen darin die besten Geschichten ihres Lebens. Überall im Handel und versandkostenfrei hier bei uns im Shop.

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Vier Seeleute vermisst: dänischer Großcontainerfrachter brennt on Mrz 07 2018