„Macht den Mund auf!“ Kapitän Schwandt zu den Anti-AfD-Protesten

Kapitän Schwandt ist wütend. Die Enthüllung einer geheimen Konferenz von AfD-Politikern und Rechtsradikalen, in der millionenfache Deportation von Asylbewerbern, Ausländern und missliebigen Deutschen diskutiert wurde, erschrecken Deutschland. In den Straßen und im Netz wird es laut. Und der alte Seemann hat eine klare Botschaft. Von Stefan Kruecken

Mit schwerer See kennt sich Kapitän Schwandt nicht nur aus. Er mag sie sogar. Der Seemann, Jahrgang 1936, war auf der Linie Hamburg-Chicago im Nordatlantik unterwegs, wetterte viele Stürme des Lebens ab und stellte sich gegen die Rechtsextremen der AfD und der „Pegida“.

Kapitän Schwandt: Ärger und Leere

Aus dem Kapitän, der immerzu raucht, wurde dank Abenteuern und Klarer Haltung  ein „Popstar mit 80“ (Hamburger Abendblatt). Bestseller-Autor, Talkshow-Gast, Facebook-Influencer mit 150.000 Followern. Wegen schwerer Krankheiten war es einige Zeit still um ihn geworden – nun meldet er sich wieder zu Wort*. Was Jürgen Schwandt beobachtet, das sorgt, je nach Stimmungslage, für Ungläubigkeit („hätte ich nicht für möglich gehalten“), entsetzter Leere und Ärger.

„Jetzt muss wirklich der Allerletzte verstanden haben, wie gefährlich die AfD ist und was sie will“, sagt er. „Also: Macht den Mund auf!“

Deutschland ist aufgeschreckt

Deutschland ist aufgeschreckt durch die Enthüllungen des Recherche-Netzwerks „Correctiv“ über einen „Masterplan Remigration“, den AfD-Poliker und Rechtsextreme in einem Potsdamer Hotel besprachen. „Masterplan Remigration“, das ist ein weichgespültes Propaganda-Wort. Es meint die massenhafte Deportation von Flüchtlingen, Ausländern und missliebigen Bürgern nach Nordafrika.

 

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Was so irre wie bösartig klingt, bringt für viele Bürger das Maß nun endgültig zum Überlaufen. Sorge und Angst vor den Stimmenzuwächsen der AfD weichen anderen Emotionen. Empörung. Kalter Wut. Zehntausende gehen auf die Straßen, ein Meer von Demonstranten in Potsdam, Berlin ^und Köln. Auch in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke wächst der Widerstand. Endlich.

Warnung des Inlandsgeheimdienstes

Thomas Haldenwang, der Präsident des Verfassungsschutzes, appelliert an die gesellschaftliche Mitte (HIER lesen), endlich die Gemütlichkeit aufzugeben und die Gefahren der AfD zu erkennen. Ähnlich sieht es Schwandt. „Ich vermisse bei vielen Leuten, dass sie sich mit gesellschaftlichen Zusammenhängen auseinandersetzen“, sagt er. Sie verstünden nicht, was sie mit ihrem blinden Zorn „auf die da oben“ anrichten.

Wie mag es für ältere Menschen sein, dass nun wieder Leute wie Björn Höcke auf Bühnen stehen, die den Sound von Joseph Goebbels imitieren?  Schwandts Vater war ein ranghoher und überzeugter Nationalsozialist. Die Auseinandersetzung mit ihm und der Überlebenskampf in den Trümmern von Sankt Georg hat sein Leben geprägt. Deshalb ging er zu See, die sein Notausgang wurde. Er hat nicht vergessen, wie Zerstörung aussieht und sich Hunger und schutzlose Kälte anfühlen.

Verantwortungsloses Handeln

Genau dies wirft er AfD-Politikern wie Alexander Gauland, Jahrgang 1941, vor, der die eigene Biografie verleugne. Sie seien beide Augenzeugen gewesen, was das Dritte Reich angerichtet habe – und selbst Flüchtling gewesen. Schwandt schwor sich, mit allem, was er hat, gegen die neue Rechte zu stehen, unbeeindruckt von Beleidigungen und Drohungen gegen ihn, den alten Mann. Gauland schwadronierte vom „Vogelschiss“ und blies zur Jagd auf Demokraten.

Dass die Bundespolitik derzeit bestimmt nicht alles richtig mache? Ja, das sei wohl so, sagt Schwandt. Protest aber zu zeigen, in dem man Rechtsextremen hinterherlaufe? Inakzeptabel! Es macht Schwandt richtig sauer „Einigen geht es einfach zu gut“, vermutet er. „Sie machen sich nicht klar, welche Folgen ihr verantwortungsloses Handeln hat.“

Trotz immer neuer rechtsextremer Entgleisungen stiegen zuletzt die Umfragewerte der AfD. Es ist, als brenne das Haus, und Teile der Gesellschaft packten die Grillwürste aus, in einer irgendwie pubertären Freude an Kaputtmachen und Kaputtreden.

Woher kommt diese Wut, Kapitän Schwandt?

„Es ist Sozialneid. Mangelnde Solidarität. Und es ist Angst“, sagt Schwandt. Besonders der Faktor Angst spiele eine wichtige Rolle. Angst: vor gesellschaftlichen Veränderungen, der Klimakrise, einer komplexen Welt im Wandel, für die Rechtspopulisten einfache Parolen parat haben.

Dass sie dabei selbst den menschgemachten Klimawandel leugnen? Für AfD-Wähler geschenkt. Hauptsache „deutsch“, im völkischen, platten Sinne, und wichtig, dass es Sündenböcke gebe: Flüchtlinge, „Grüne“, all jene, die anders sind. „Manche Leute sind so leicht zu manipulieren“, sagt Schwandt.

Unterkriegen lassen hat er sich nie. Nicht nach einem schweren Start ins Leben, nicht in den Stürmen auf See, nicht von seinen Krankheiten. Der alte Seemann erwartet, dass nun auch keine Resignation einkehrt, sondern die Resilienz der Zivilgesellschaft erwacht.

„Mit den Protesten – so gut sie sind – ist es aber nicht getan“, mahnt er. „Es muss weitergehen, immer weiter. Bis diese Partei keine Rolle mehr spielt.“

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