MEER GLÜCK: Als ich Opfer der Rettungsschwimmer wurde

Die Nordsee  ist wunderbar, hat aber auch ihre Tücken. Man sollte nur mit Respekt baden gehen. Auf Juist passen deshalb von Mai bis Oktober Rettungsschwimmer am Strand auf.

Rettungsschwimmer arbeiten gerne präventiv.  Sie beobachten das Wetter, die Windrichtung und das Strömungsverhalten des Meeres und sprechen dann gezielt die Badenden an. Zum Beispiel Luftmatratzen-Planscher, wenn absehbar ist, dass die schnell rausgezogen werden können. Sie beobachten Kinder, die alleine in den Wellen spielen und haben Schwimmer im Auge, die ihr Können überschätzen. Ein geflügeltes Wort der Juister Rettungsschwimmer lautet: “Weiß das Meer auch, dass Sie so gut schwimmen können?”

Baywatch auf Juist

Sie müssen oft ein gutes Urteilsvermögen haben: Winkt die Mama jetzt nur ihren Kindern zu oder hat sie wirklich ein Problem? Und oft genug ist es eben nicht wie in der Serie „Baywatch“: Wild rudernde Menschen, die sich aufbäumen und spritzen wie ein Wal. Menschen gehen oft einfach “sang- und klanglos” unter. Und dann wird es schwierig, sie in der trüben Nordsee wiederzufinden.

Im Rahmen meiner journalistischen Tätigkeit auf Juist habe ich eine Serie gemacht, die „Uta lernt“ hieß. Dabei bin ich in ganz viele Bereiche der Insel gelangt, die man sonst nicht so kennt, habe quasi hinter die Kulissen von Juist geschaut und mir typische Berufe, Hobbys, Tätigkeiten usw. angeschaut und erklären lassen. Natürlich habe ich dann auch alles selber ausprobiert.

Meine Rolle am Strand: das Opfer

An einem schönen Samstagmorgen – so früh, dass ich erst einen Kaffee im Bauch hatte – habe ich mich mit Habbo Schwips, dem Chef des Juister Rettungsschwimmer-Teams, an einem Strandaufgang  getroffen. An diesem Tag  hatte Habbo eine Übung  für sein Team angesetzt. Das macht er gerne, wenn früh morgens Flut ist, denn da sind noch nicht so viele Menschen in der Nordsee und der normale Badebetrieb wird nicht so arg gestört.

Meine ausdrucksstarke und prägnante Rolle in der Geschichte: Ich war das Opfer.

Zusammen mit einem anderen Juister Mädel sollte ich mich in die Nordseefluten stürzen und einen Badeunfall simulieren. Man muss dazu sagen: ich bin – was das Meer angeht – eine echte Schissbux. Ich gehe nie tiefer rein, als ich stehen kann, kühle mich ein wenig ab und begebe mich wieder ans sichere Ufer.

Niemals die Nordsee unterschätzen

Generell ist die Nordsee eben auch nicht zu unterschätzen – besonders nicht bei ablandigem Wind, bei einsetzender Ebbe und wegen der vielen gefährlichen Strömungen. Besonders heftig sind da die sogenannten Rip-Strömungen: Diese entsteht, wenn entgegen gesetzte Wasserströme aufeinandertreffen und sich – logischerweise – den einfachsten Weg zurück ins Meer suchen. Also, wenn quasi zwei Ströme aus dem Meer aufs Land treffen, dann aber in einem gemeinsamen Fluss in der Mitte wieder zurückströmen. Man sieht sie nicht, man spürt sie allerdings deutlich: Man wundert sich, dass man plötzlich ganz woanders landet als man ins Meer gegangen ist – oder im schlimmsten Fall zieht es einem die Füße weg und einen selbst immer weiter raus. Dabei sollte man auf keinen Fall versuchen, gegen den Strom zu schwimmen, sondern parallel zum Strand aus der Strömung raus zu kommen. Und im Notfall natürlich um Hilfe schreien und winken.

Genau das war auch meine Aufgabe im fiktiven Noteinsatz. Es war ausgemacht, dass meine “Opferkollegin” Annika und ich weit raus schwimmen. Annika sollte dann so tut, als bekomme sie einen Krampf, ich sollte die Rettungsschwimmer per Handzeichen alarmieren. Sobald sie uns erreichten, sollte auch ich so tun, als würden mich meine Kräfte verlassen. Gesagt, getan. Und ich musste gar nicht mal großartig simulieren. Mir war gar nicht klar, wie anstrengend es ist, sich im offenen, tiefen Gewässer mit dicken Wellen oben zu halten.

Entkrampft und Mund-zu-Mund-Beatmung

Vom Land aus gesehen ging das wohl ziemlich fix, dass gleich mehrere Rettungsschwimmer bei uns waren. Im Wasser hat sich das allerdings recht lang angefühlt.  Annika sollte sich dann an einer Rettungsboje festhalten – die bei „Baywatch“ hatten auch immer solche Dinger in rot, passend zum Badeanzug. Auf Juist gibt es die gelbe, eckige Form und der Rettungsschwimmer kann sie sich mit einem langen Gurt umschnallen, um besser schwimmen zu können.

Ich bin dann von zwei Rettungsschwimmern per Achsel-Schlepp-Griff aus dem Wasser gezogen worden – wurde also von zwei grinsenden Menschen eingehakt und „gerettet“, denn mittlerweile hatten sie schon gemerkt, dass Annika und ich nur schauspielern. Dennoch wurden wir am Strand  auf eine Decke gepackt, Annikas Wade wurde entkrampft und ich erhielt eine simulierte Herzdruckmassage und eine Mund-zu-Mund-Beatmung.

Ich bleibe dann mal am Strand

Im Ernstfall wäre natürlich umgehend das Deutsche Rote Kreuz dazu geholt worden. Habbo erklärte mir, dass ein Badeunfall-Opfer niemals nach der Rettung einfach nach Hause geschickt wird, sondern in jedem Fall eine ärztliche Abklärung braucht. Das Problem ist, wenn man Wasser nicht nur reichlich geschluckt, sondern auch eingeatmet hat. Das kann das auch noch Stunden später zu einer Lungen-Embolie führen.

Ich war putzmunter und froh, wieder festen Sand unter meinen Füßen zu haben. Auch, wenn ich die Nordsee echt liebe: ich bleibe doch lieber am Strand.

 

UTA JENTJENS, JAHRGANG 1974, LEBTE 16 JAHRE LANG AUF DER INSEL JUIST. HEUTE WOHNT SIE MIT IHREN BEIDEN KINDERN IM SÜDEN VON HAMBURG. AB SOFORT SCHREIBT SIE IM ANKERHERZ-BLOG MEER GLÜCK ÜBER IHR LEBEN MIT UND OHNE DIE NORDSEE.

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