Mord auf dem Nordatlantik: Zwölf Schüsse in der Nacht

Mord auf dem Nordatlantik. Der kleine Frachter kämpft sich durch einen Sturm, als plötzlich Schüsse an Bord fallen. Kapitän Jonny Roggendorf berichtet über einen Mord, der ihn lange verfolgte. Auszug aus unserem neuen „Kleinen Buch vom Meer: Mord an Bord“ (HIER bestellen).

Als ich den ersten Schuss höre, springe ich aus dem Bett auf, streife mir eilig den Bademantel über und gehe raus auf den Gang. Noch ein Knall. Pamm! Und wieder. Peng! Pamm! Zwölf Schüsse sind es insgesamt, dann ist es still im Schiff.

„Ach du Scheiße“, sage ich leise zu mir selbst.

Ich nehme den Niedergang zu den Kabinen der Crew. Der Chief kommt mir entgegen. Er hat die Waffe in seinen Händen. „Hier hast du es“, sagt er und gibt mir das Gewehr. Dann wankt er in seine Kammer, die ich sofort verriegeln lasse. Wir sind auf dem Nordatlantik, auf dem Weg von Island in die USA.

Soeben ist an Bord meines Frachters ein Mord geschehen.

Im Liniendienst fahren wir Anfang 1981 zwischen Reykjavik und Norfolk im US-Bundesstaat Virginia hin und her, mit Fischprodukten aus Europa und militärischer Ausrüstung für einen amerikanischen Armee-Stützpunkt auf der Insel. Unser Frachter heißt „Gustav Behrmann“ und ist nicht mal hundert Meter lang.

Mord an Bord

Jede Überfahrt in den stürmischen Monaten ist ein Abenteuer. Bei den ersten Reisen hatte ich ziemlichen Bammel, besonders wegen der Eisberge, die nicht mehr markiert waren. Bei schlechtem Wetter waren sie im Radar kaum zu sehen – und schlechtes Wetter erleben wir häufig.

Doch welche Wahl habe ich schon? Die Seefahrt steckt zu diesem Zeitpunkt in einer tiefen Krise, und ich bin froh über jede Charter, die mir hilft, meine Familie zu ernähren. Eine Gruppe von Kaufleuten auf Island, die mit den Preisen eines örtlichen Reederei-Monopolisten nicht einverstanden war, hatte sich zusammengetan und uns unter Vertrag genommen.

Der Maschinenchef an Bord heißt Joachim Mayer* (Name geändert), er ist Mitte 30, ein kräftig gebauter Kerl. Nüchtern ist er umgänglich, betrunken aber unberechenbar. Mir gefällt es gar nicht, als ich erfahre, dass er in meiner Abwesenheit ein Kleinkalibergewehr an Bord gebracht hat. Im Hafen von Ostende hatte er es entstanden, und um das deutlich zu sagen: Ich hätte es ihm nicht erlaubt. So aber ist die Waffe nun an Bord.

Kein Konflikt mit dem Chief

Ich mag keinen Konflikt mit dem Chief riskieren. Er ist ein wichtiger Mann an Bord und Ersatz dürfte schwer zu finden sein, schon gar nicht kurzfristig. Wenn er abmustert, haben wir ein Problem. Ich vereinbare also mit Mayer, dass das Gewehr auf See stets in meinem Zollschrank eingeschlossen bleibt.

Das Wetter ist mal wieder schlecht. Der Sturm tobt so schlimm, dass ein Kleiderschrank in meiner Kabine von der Wand abreißt und auf meine Koje fällt. Als wir unter Neufundland sind, beruhigt sich die Lage für einige Stunden. Mayer kommt mit einer Bitte zu mir. Er will auf einige Dosen auf dem Vordeck schießen, zur Entspannung, wie er sagt. „Da spricht doch nichts gegen, Käpt´n?“, fragt er. Wohl ist mir nicht, doch ich willige schließlich ein. Was in den Stunden danach geschieht, habe ich so rekonstruiert.

Nach den Schießübungen händigt mir der Chief entgegen unserer Absprache die Waffe nicht aus. Grund ist irgendein Problem in der Maschine, um das er sich eilig kümmern muss. Auch nimmt die Dünung wieder zu. Er verspricht, mir das Gewehr gleich am nächsten Morgen auf meine Kammer zu bringen.

Wie oft habe ich später darüber nachgedacht, dass diese Entscheidung ein schwerer Fehler war.

Es kommt zum Streit

In den Abendstunden steigt eine Feier in den Kabinen der Crew. Was ich nicht weiß: Zwei türkische Matrosen haben in Reykjavik eine Hure an Bord geschmuggelt und versteckt. Alkohol fließt, reichlich sogar, und Mayer, schon ziemlich betrunken, macht sich ebenfalls an die Prostituierte ran. Was aber weder der Frau noch den Matrosen gefällt. Sie streiten. Ihr Geschrei weckt einen Seemann von den Kapverden, der die Brückenwache um 4 Uhr antreten soll. Erst bittet er, dann fordert er, dass sie die Klappe halten, damit er schlafen kann.

„Seid endlich ruhig! Sonst geh ich hoch zum Alten und beschwer mich!“, ruft er.

„Wenn du das machst, dann leg ich dich um“, antwortet der Chief. Natürlich glaubt ihm niemand.

Tatsächlich eilt der Seemann von den Kapverden auf die Brücke, um sich zu beschweren. Als er in seine Kammer zurück möchte, erwartet ihn der Chief mit seinem Gewehr auf dem Gang. Er legt an. Er drückt ab. Eiskalt, immer wieder.

Was nun? Ich fahre mein ganzes Leben zur See, seit ich 16 Jahre alt bin. Meine ersten Reisen verlebte ich unter Zuständen, die so katastrophal waren, dass sie heute Ungläubigkeit auslösen. Ich möchte behaupten, dass ich so ziemlich alles erlebt habe, was ein Seemann erleben kann. Einen Mord an Bord des eigenen Schiffes aber hatte ich noch nie. Das will man auch nicht erleben.

Was nun?

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