Seemannsdiakon Sturm: Erinnerung an Ertrunkene
Erinnern an Ertrunkene. Jeden Donnerstag, dem Sonntag der Seeleute, schreibt Fiete Sturm eine Kolumne im Ankerherz Blog. Fiete ist Seemannsdiakon in Hamburg-Altona und Leiter der Seemannsmission an der Großen Elbstraße.
Moin!
Wie ihr sicherlich bei Ankerherz und anderen Medien gelesen habt, kam vor drei Tagen die „Peking“ nach Hause in den Hamburger Hafen. Tausende Menschen haben den Viermaster im Heimathafen empfangen. Ein spannender und toller Tag für uns hier in der Hansestadt!
Grund für mich, noch mal an eines der Schwesterschiffe der Peking zu denken: das Schicksal der Pamir, die im September 1957 in einem Hurrikan auf dem Atlantik sank. 80 der 86 Crewmitglieder, darunter viele junge Kadetten, verloren ihr Leben. Damit möchte ich Euch an einem nicht ganz so erfreulichen – aber nichtsdestotrotz wichtigen Teil der Arbeit in der Seemannsmission teilhaben zu lassen. Schiffe verunglücken. Menschen bleiben auf See. Wir erinnern an Ertrunkene.
Eine kleine Kirche in der Seemannsmission
In unser Seemannsmission in Altona gibt es im Erdgeschoss, direkt neben der Rezeption, eine kleine Kirche. Die einzige, ursprüngliche Seemannskirche Deutschlands, wie man munkelt. Ihr Name lautet „St. Clemens am Hafen“. Sie ist nach dem Schutzheiligen für Seeleute in Sturm und Gewitter benannt. Es ist übrigens eine offene Kirche. Sie kann gerne besucht werden!
Eine kupferne Bodenkachel zeigt als Relief die Stillung des Sturms durch Jesus am See Genezareth. Und unter der Decke hängt ein gläserner Schaukasten, in dem sich das detaillierte Modell der Pamir befindet. An der linken Wand, an einer kleine Steele hängt ein hölzernes „Lampedusa-Kreuz“, gefertigt aus den groben, lackierten Planken eines verunglückten, afrikanischen Flüchtlingsbootes. Es erinnert uns tagtäglich an das große Drama, das im Mittelmeer stattfindet. In einer Ecke liegt auf einem Podest ein altes, restauriertes Buch, in dem wir seit 1957 die Namen von Seeleuten eintragen, die nicht mehr in ihren Heimathafen zurückkehrten und auf dem Meer blieben.
Der Tod auf See
Seit Menschen die Meere befahren, gehört der Tod und die Erinnerung an die Verstorbenen mit dazu. Und die Gewissheit daran, dass die Seefahrt auch bis heute einer der gefährlichsten Berufe der Welt ist.
Einmal im Jahr feiern wir darum z.B. einen Gedenkgottesdienst am Totensonntag an der „Madonna der Seefahrt“. Das ist ein Denkmal am St. Pauli Fischmarkt für Ertrunkene, das an all jene erinnert, die nicht von See zurück gekehrt sind.
Aber nicht nur ritualisiertes Erinnern ist Teil meiner Arbeit. Meine Kollegen und ich leisten, wie viele unser Vorgänger schon, Seelsorge für Angehörige und auch Seeleute an Bord, die Zeugen tragischer Unfälle geworden sind. Die Freunde, Familienmitglieder und Kollegen verloren haben. Oder die mit ansehen mussten, wir vor ihren Augen schiffsbrüchige Flüchtlinge ertranken.
Ertrunkene gehören auch zur Seefahrt
Wir machen hier keine politischen oder moralischen Unterschiede. Wir wiegen kein Leid gegen ein anderes auf. Wir nehmen die Trauer und das Leid an. Wir helfen, sie zu verarbeiten. Es ist egal, ob es sich dabei um die vielen Kadetten der Pamir handelte – von denen viele in unserem Seemannsheim lebten – oder um moderne Seeleute wie von der „Gulf Livestock1“, die kürzlich sank und 40 Seeleuten mit in ihr nasses Grab nahm. Oder ob es Flüchtlinge sind, die im Mittelmeer zu Tausenden ums Leben kommen.
Jüngst kam es z.B. auf der Maersk Etienne zu einer Krise, als Menschen in ihrer Verzweiflung zurück ins Meer sprangen, nachdem dem Tanker auch nach Wochen keine Einlaufgenehmigung in einen sicheren Hafen erteilt wurde. In diesem Fall ging es noch glimpflich aus, weil die Crew schnell und gut reagierte. In anderen Fällen sind wir aber regelmäßig mit Seeleuten konfrontiert, die nur noch beobachten konnten, wie Flüchtlinge vor ihren Augen starben oder tot im Wasser trieben.
Darum bieten wir als Mitarbeiter*innen der Seemannsmission nicht nur Gespräche, Notfall- und Onlineseelsorge an. Sondern wir engagieren uns auch aktiv in vielen Bereichen, um Leid zu mindern bzw. sogar zu verhindern. Ob nun das Eintreten für sichere Arbeitsbedingungen in der kommerziellen Schifffahrt, oder unser Engagement im Bündnis „united4rescue“, das jüngst die „Sea-Watch 4 „auf die Reise ins Mittelmeer zum Retten geschickt hat.
Helft mit, das Leid zu lindern!
So oder so wünsche ich mir eines: Wir sollten uns bewusst machen, dass auch heute noch viele Menschen da draußen auf den Meeren ums Leben kommen. Und ob sie nun für unseren Wohlstand unterwegs sind oder den Preis für unsere Wohlstandsgesellschaft zahlen. Oder ob sie aus ihrer Heimat fliehen. Wichtig ist, dass wir in vielen Fällen mit ihrem Schicksal verknüpft sind. Oft, ohne es überhaupt zu ahnen.
Vielleicht gedenkt ihr ihrer ja z.B. am nächsten Totensonntag (22.11.2020) gemeinsam mit uns. Oder Ihr engagiert Euch ebenfalls auf die ein oder andere Weise, um das Sterben auf See zu verarbeiten. Oder am besten noch zu verhindern.
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