Seemannsdiakon Sturm: Klischee und Wirklichkeit
Klischee und Wirklichkeit. Jeden Donnerstag schreibt Fiete Sturm, der Seemannsdiakon von Hamburg-Altona und Leiter der Seemannsmission, eine Kolumne für den Ankerherz Blog. Diesmal geht es um das Bild des Seemanns – und ein Abgleich mit der Realität.
Moin!
Heute möchte ich Euch etwas über die Top 3 der größten Klischees in der kommerziellen Seefahrt erzählen – und mit Euch herausfinden, was heute noch daran wahr sein könnte.
Ich habe vor fünf Jahren begonnen, als Seemannsdiakon in der Seemannsmission Altona zu arbeiten. Und in dieser Zeit bin ich immer wieder mit den klassischen Vorurteilen über Seeleute konfrontiert worden. Auch mit romantisch verklärten Bildern. Ich selbst spiele gerne mit diesen Erwartungen, wenn ich Menschen unsere Arbeit erkläre. Aber vieles hat sich in der Seefahrt über die Jahrhunderte verändert. Wir transportieren unsere Güter nicht mehr in hölzernen Segelschiffen um den Globus, sondern in schwerölbetriebenen Stahlgiganten.
Darum möchte ich jetzt mit euch mal ein paar dieser Stereotype unter die Lupe nehmen!
Klischee 1: Äußere Erscheinung
„Seemänner tragen Mütze und Bart. Sie sind meistens mit einem Anker tätowiert, rauchen Pfeife und sind raue, verwitterte Gestalten, die nichts so leicht erschüttert.“
Fakt: Bis auf wenige Ausnahmen trifft dieses Bild heute nicht mehr zu. Viele Seeleute kommen von den Philippinen oder aus Osteuropa. Sie tragen heute zweckmäßige Schutzkleidung und sehen oft so aus, wie viele andere Industriearbeiter auch. Bei mir im Seemannsheim waren schon viele Touristen enttäuscht, wenn sie keine Bilderbuchmatrosen antrafen. Dass die Filipinos in westlicher Kleidung um sie herum gestandene Seeleute waren, wollten sie da erst gar nicht so recht glauben.
Übrigens gibt es nicht nur Seemänner,sondern auch viele Frauen. Gerade auf Kreuzfahrtschiffen arbeiten viele weibliche Seeleute. Und auch auf Containerschiffen habe ich schon mehr als eine Ingenieurin im Maschinenraum angetroffen.
Klischee 2: Der Alkohol
„Wer kennt das nicht? Stets ne Buddel Schnaps in der Seekiste zu haben ist geradezu Pflicht für den Matrosen von Welt! Im Segelzeitalter gehörte die tägliche Rumration zum normalen Ablauf an Bord. Und wenn man dann beim Landgang über die Reeperbahn zieht, darf der heiße Grog und die Geschichte vom Klabautermann nicht fehlen!“
Fakt: Viele Schiffe sind heutzutage komplett „trocken“. Seeleute arbeiten in einem gefährlichen Industrieberuf und Alkohol am Arbeitsplatz ist meistens streng verboten. Nicht wenige Schifffahrtsagenturen lassen ihre Seeleute vorm Ablegen ins Röhrchen pusten, um sicherzugehen, dass sie nüchtern sind.
Aber wie in jedem harten und belastenden Beruf kann die Flucht in den Alkohol auch hier eine Möglichkeit sein, mit den Belastungen umzugehen. Und bei einem Bordbesuch wurde mir auf einem russischen Tanker in feuchtfröhlicher Geburtstagsrunde auch schon mal sehr vehement der selbstgebrannte Wodka angeboten. Ein gepflegtes Bier oder Wein bei uns im Seemannsclub ist aber meist in Ordnung.
Klischee 3: Liebesleben
„Der Seemann hat in jedem Hafen ne andere Braut! Das weiß doch nun wirklich jeder! Wenn man lange von Zuhause weg ist, dann sucht man gerne Trost in den Armen einer schönen Frau. Und welche Deern kann schon einem erfahrenen Weltumsegler widerstehen, wenn er von überstandenen Stürmen erzählt und wie er der Gefahr ins Gesicht gelacht hat?!“
Fakt: Wie immer im Leben und in der Liebe ist nichts unmöglich. Und gerade in so gut wie allen großen Hafenstädten gibt es immer noch ein gut florierendes Rotlichtgewerbe. Die lange Trennung von Freunden und Familie lässt sich viele Seeleute einsam und verlassen fühlen. Aber mehr als das „schnelle Glück“ ist meist nicht drin. Denn die berühmte Seemannsbraut, die sehnsüchtig auf ihren Matrosen wartet, gibt es dann wiederum so nicht mehr. Die Liegezeiten in den Häfen sind meist so kurz, dass Landgang kaum noch möglich ist. Dazu kenne ich viele Seeleute, die tatsächlich liebevolle Familienmenschen sind und – wenn auch schweren Herzens – gerne warten, bis sie ihre Liebsten wiedersehen.
Also: Ihr seht, Seefahrt befindet sich stets im Wandel. Und gerade in der heutigen Zeit, in der jede vergeudete Stunde im maritimen Sektor tausende Euros an Kosten bedeuten kann, ist immer weniger Platz für die romantischen Anteile dieser Arbeit. Nichtsdestotrotz treffe ich sie dann doch immer mal wieder: Crewmitglieder, die mir stolz von be- und überstandenen Stürmen erzählen und wundervollen Sonnenaufgängen vor fremden Gestaden.
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