Stefan Geschichten vom Meer: 2024 beginnt mit einem Henk
Stefans Geschichten vom Meer starten 2024 mit einem Sturm namens Henk, einer neugierigen Möwe im Fenster und mit Touristen, die für ein Selfie ihr Leben an Englands höchsten Kreideklippen riskieren. Viel Spaß mit der ersten Kolumne des Jahres!
Das neue Jahr begann damit, dass sich eine Möwe lauthals vor dem Hotelfenster beschwerte und mich durch die von der Salzluft verkrustete Scheibe anglotzte. Kurz danach zog ein Sturm über die Südküste Englands.
Vielleicht klingt es seltsam, aber ich empfand beides als angenehm.
Wobei sich das Unwetter so kurzfristig zusammenbraute, dass die Wetterbehörde Met Office die Warnung nur eine Stunde vorher ausgab. Der achte Sturm in dieser Saison, der so schwer war, dass er einen Namen bekam. Dass die Meteorologen schon im Januar beim Buchstaben „H“ ankamen, gab es noch nie. „Henk“ also.
Ich spazierte auf einer Klippe der „Seven Sisters“, wie die sieben Klippen westlich von Eastbourne seit ungefähr 1600 genannt werden, und beobachtete das Tosen der Brandung. Eine Landschaft aus Grau und wunderbarer Ort, um die Gedanken durchzulüften in den Zeiten der großen Wut, von Wutbauern, und Flutbürgern und all den anderen, sie so unheimlich wütend sind, wobei ich manchmal gerne verstehen würde, auf was und wen denn eigentlich genau.
Geschichten vom Meer starten mit Henk
Interessant war es auch, einer Gruppe junger asiatischer Touristen zuzuschauen, die außerhalb meiner „Achtung!“-Brüllweite mit Selfie-Stangen dicht an der bröckeligen Klippenkante hantierten und dabei mit den Fingern „Peace“ signalisierten. Ich überlegte, ob es eine bescheuertere Art gibt, aus dieser Welt zu scheiden, als mit einem debilen Handzeichen und einem Selfie-Stick.
„Henk“ war gnädig mit ihnen.
Als der Sturm so stark wurde, dass es unangenehm wurde und die Regentropfen wie grobe Nadeln im Gesicht pieksten, wanderte ich zu einem Pub weiter oben auf den Klippen, nicht weit vom Leuchtturm „Beachy Head“, der auf keiner Postkarte der Region fehlt. Bei einem Becher schwarzen Kaffee las ich in einem Büchlein der örtlichen „historischen Vereinigung“.
Sturm drückt durch eine Mauer
Die lokalen Historiker – ich stelle mir spleenige ehemalige Geschichtslehrer vor, die unter Tweetmützen alte Archive durchwühlen – berichten von Küstenbewohnern, die einst Laternen an ihre Kühe banden, um Schiffe im Sturm auf die Klippen zu locken. Und von einer jungen Mutter, die ihre Kinder zum Sammeln von Strandgut mit an die Klippen nahm, weil alle Nachbarn dies auch taten, und die in der kalten Nacht am Strand erfror.
Die Kerze auf dem Tisch im Pub auf den Klippen flackerte. „Henk“ drückte durch die verklinkerte Wand und die Holzvertäfelung hindurch. Wirklich: der Sturm kam durch die Mauer. Es klang, als fahre eine U-Bahn unter der Klippe durch, alles grollte und brummte und vibrierte.
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