Stefans Geschichten vom Meer: Brexit und Britannia
Brexit und Britannia. Jeden Samstag schreibt Ankerherz Verlagsleiter Stefan Kruecken eine „Geschichte vom Meer“, die in der Hamburger Morgenpost erscheint. Diesmal geht es um eine stürmische Nacht in einem Pub an der Küste von England.
Der Sturm kam doch noch und dann so heftig, dass wir einige Zeit im Auto sitzenblieben, weil der Regen gegen die Scheiben schlug. Vom Parkplatz des „The Britannia“ sieht man weit über die Nordsee, fast wie von einem Schiff auf hoher See. Margate, das alte Seebad ganz im Südosten der Insel, Grafschaft Kent, hat seine guten Zeiten lange hinter sich. Auch das „Britannia“ sieht nicht so aus, als ob es jemals wieder in „Schöner Wohnen“ auftaucht.
Die Fassade ist abgebröckelt, mit Graffitis beschmiert, ein Schild warnt vor Dieben und weist auf die CCTV Kameras hin, die jede Bewegung filmen. Wir schauten nach, ob es ein anderes Hotel in der Gegend gibt, doch verwarfen den Plan. Das Wetter war einfach zu schlecht.
So herzlich, so gemütlich
An diese Nacht im „Britannia“ dachte ich gestern morgen, als das Ergebnis der Parlamentswahlen in Großbritannien in den Nachrichten kam. Der Pub war voller Stammgäste, die freundlich grüßten, hängengeblieben beim Sunday Roast, dem Sonntagsbraten.Am Tresen eine Menge tätowierter Kerle, in der Ecke blinkten gleich drei Spielautomaten. Die ewigen Rolling Stones sangen aus den Lautsprechern und im Fernseher an der Wand ging Newcastle gegen Manchester United in Führung.
Dann begrüßt uns die Wirtin, sie heißt Edna und freute sich wirklich, dass wir da waren. „Hamburg, lovely!“ Die ersten Pints gingen aufs Haus. Die Trinker am Tresen fragten unsere Kids, wo wir herkommen, und bei der nächsten Runde hoben sich tätowierte Hände zum Gruß.
Mit einem Male stand eine Aluschale mit Pommes und den Resten des „Sunday Roast“ auf dem Tisch, einfach so, weil die Küche schon zu hatte und bei diesem Wetter doch kein Mensch vor die Tür wollte.„Enjoy“, sagte Edna. Es war so herrlich warm in diesem Pub, was überhaupt nichts mit der Heizung zu tun hatte.
Die Versprechen des Brexit
Die Leute in Margate haben mit mehr als 60 Prozent für Boris Johnson, für die Konservativen und den Brexit gestimmt. Wegen der Fischerei, für die es ohne die strengen Auflagen aus Brüssel besser laufen soll. Wegen der populistischen Versprechen, das überhaupt vieles besser werden soll, auch in einem Ort für Margate ganz am Rande. Dass das moderne Museum im Ort, der einzige neue Anlaufpunkt für Touristen, von der Europäischen Union mitfinanziert wurde? Wie auch die Modernisierung des Hafens? Oder noch ein Dutzend anderer Bauprojekte in der Gegend?
Am Tresen des „Britannia“, zwischen der Aluschale mit den Resten des Sunday Roast und dem nächsten Pint, fühlte es sich an, als wolle man sich aus der Welt zurückziehen. Wegducken im Sturm, der um die Hausecke heulte. Im Licht der Straßenlaternen sah man die Wellen der Nordsee, und drinnen sang man Karaoke.
Laut und trotzig und schief.
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Gerade erschien sein neues Buch „Kapitäne“.
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