Stefans Geschichten vom Meer: Die den Schweinswal tot streicheln

Die den Schweinswal tot streicheln. In Stefans Geschichte vom Meer geht es um einen Vorfall in Grömitz, in dem ein lebendes Tier wie eine Disney-Puppe behandelt wurde. Was natürlich nicht gut ausging.

Ich bin ein hoffnungsloser Optimist und glaube feste dran, dass am Ende immer die Vernunft siegt. Oder zumindest rede ich mir das ein, selbst im Zeitalter von Querdenkern, QAnon-Trotteln und Prominenten wie Wendler oder Henssler. Doch selbst für mich gab es in dieser Woche einige Meldungen, die mich daran zweifeln lassen, ob sich gesellschaftlich etwas weiterentwickelt.

Da waren zunächst diese biertittigen Briten, die das EM-Finale zum Anlass nahmen, London in ein versifftes Großraumurinal zu verwandeln. Nach der traditionellen Niederlage im Elfmeterschießen überzogen sie drei farbige Spieler, die verschossen hatten, mit einer Welle von Rassismus und Hass. In einem Ausmaß, das man im Jahr 2021 nicht mehr für möglich hielt. Selbst das Königshaus, ansonsten unsichtbar, zeigte sich wie so vieles in der Hauptstadt: angepisst.

Die den Schweinswal tot streicheln

Eine andere Geschichte, die ich zunächst nicht glauben mochte, doch von der Polizei offiziell bestätigt ist, spielt an der Ostsee. Am Strand von Grömitz wurde ein kleiner Schweinswal angetrieben. Schwach, aber laut Augenzeugen noch agil. Nun sollte man denken, dass ein Vernünftiger, ein einziger, zum Handy greift und den Tierschutz alarmiert oder die Feuerwehr.

Doch was passiert? Mehrere Erwachsene stürzen in die Ostsee. Aber nicht, um den Schweinswal zurück ins tiefere Wasser zu schubsen, sondern um ihn einzukesseln. Sie rufen dann knapp zwanzig Kinder herbei, die den Wal streicheln und umarmen. Ein echter Disney-Moment in Grömitz für Rico-Mika und Emilia-Malu. Der kleine Wal stirbt noch am Strand.

Todesursache: vermutlich Stress

Im Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) in Büsum stellt man wenig später fest, dass das Tier von Herz- und Lungenwürmern befallen war und aller Wahrscheinlichkeit nach am Stress verendete. Der Zwergwal ist also zu Tode gestreichelt worden für ein paar nutzlose Selfies in irgendeinem Handyspeicher.

Wasserschutzpolizeistation Fehmarn und Lübecker Staatsanwaltschaft arbeiten nun an einem anderen Souvenir: einer Strafanzeige wegen des Verdachts einer Straftat nach Paragraph 71 des Bundesnaturschutzgesetz. Sie suchen Zeugen. Außerdem gilt die Warnung vor „Zoonosen“. Wer den Schweinswal kuschelte, könnte sich mit Viren, Pilzen oder Baktieren angesteckt haben und sollte einen Arzt aufsuchen.

Ich fürchte nur: Gegen diesen akuten Mangel aus Respekt vor der Natur und Restkrümeln Verstand helfen auch keine Pillen.

 

Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Kleines Buch vom Meer: Inseln“.

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