Stefans Geschichten vom Meer: die dunkle Seite der Seefahrt

Die dunkle Seite der Seefahrt. Jeden Samstag schreibt Ankerherz Verlagsleiter Stefan Kruecken eine „Geschichte vom Meer“ für die Hamburger Morgenpost. Die Kolumne erscheint auch hier bei uns im Blog. Diesmal geht es um die Arbeitsbedingungen auf See, die Seeleute krank machen.

Als ich vor kurzem den Seemann Klaus Ricke für ein neues Buch interviewte, einen Kapitän mit legendärem Ruf, der die Alexander von Humboldt 2 um Kap Hoorn segelte, fragte ich ihn, was er von der modernen Seefahrt hält. Er sah mich einen kurzen Moment an, als habe er in einen miesen Matjes gebissen. Dann sagte er:

„Ich empfinde sie als menschenverachtend.“

Schiffsführung und Offiziere würden vernünftig bezahlt und mit Urlaub ausgestattet, doch die Bedingungen, unter denen die einfachen Matrosen arbeiten, erinnern ihn an „modernen Sklavenhandel“. Lange Arbeitszeiten an Bord der gewaltigen Schiffe, kurze Liegezeiten in den Häfen und Einsamkeit bestimmten das Leben an Bord. Der Seemann sei für manche Reedereien nichts anderes als ein lästiger Kostenfaktor weit hinter dem Horizont.

Dunkle Seite der Seefahrt

Das ist an sich nichts Neues. Schon immer gab es Reedereien, denen das Wohlergehen ihrer Seeleute so egal war wie ein Möwenschiss in Magadaskar. Wie schlecht die aktuelle Lage für viele Crews ist, höre ich in Seemannsheimen oder inGesprächen mit Seemannpastoren. Was nun bei einer großen Studie der hochangesehenen Yale Universität in Zusammenarbeit mit der Seefahrer-Organisation „SeafarersTrust“ herauskam, ist alarmierend. Knapp 1572 Seeleute auf Schiffen aller Größe rund um den Globus beteiligten sich daran.

25 Prozent (!) gaben an, unter Depressionen oder einer depressiven Verstimmung zu leiden.

17 Prozent berichteten von Angstzuständen.

20 Prozent beschrieben sogar Selbstmordgedanken.

Und dies nicht irgendwann, sondern in einem Zeitraum von zwei Wochen, bevor sie den Fragebogen ausfüllten. „Diese Ergebnisse sollten ein Weckruf für die ganze Industrie sein, endlich etwas zu unternehmen“, heißt es in einem Statement des „Seafarers Trust.“

Kapitän Klaus Ricke. // Foto: Ankerherz

Seeleute werden krank

Auch scheint an Bord mancher Schiffe ein Klima der Gewalt zu herrschen, mit systematischem Mobbing. Seeleute von den Philippinen und aus Osteuropa berichteten darüber vier Mal häufiger als Kollegen aus westlichen Ländern. Wobei man sich fragt, wo es diese überhaupt noch gibt. Für deutsche Seeleute ist es durch die Niedriglohnpolitik vieler Reeder extrem schwierig, überhaupt eine Heuer zu finden.

Vor kurzem traf ich Andreas Latz, den Seemannspastor von Bremerhaven, dem zweitgrößten deutschen Hafen. Er berichtete von der Begegnung mit einem jungen Syrer, noch im Seefahrtsstudium. Drei Monate später war er kaum wiederzuerkennen: Er wirkte abgemagert und war total übermüdet. Ein Problem für Seeleute ist der Mangel an Schlaf und die Erschöpfung durch die Arbeit. „Die kurzen Vier-Stunden-Wachen lassen keinen geregelten Schlafrhythmus zu“, sagte mir Latz. Manche Seeleute klagen im Hafen über Sehprobleme, doch bei Untersuchungen stellt sich dann heraus, dass mit den Augen alles in Ordnung ist.

Chronische Erschöpfung ist das Problem.

Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Gerade erschien sein neues Buch „Kapitäne“.

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